Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachbarklage gegen Wohnbaugenehmigung
Leitsatz (amtlich)
1. Lassen sich die Erfolgsaussichten eines Nachbarrechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung im Aussetzungsverfahren aufgrund der verfahrensformbedingt eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten nicht abschließend positiv beurteilen, so ist für eine Anordnung der kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs. 1 BauGB) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung nur Raum, wenn die überschlägige Rechtskontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der nachbarrechtlichen Unbedenklichkeit der angefochtenen Genehmigung ergibt.
2. Die Interpretation, dass eine so genannte „Familienheimklausel” in einem Bebauungsplan nur die Errichtung eines (einzigen) entsprechenden Gebäudes je Grundstück zulässt, ist im Hinblick auf die sich aus der insoweit überwiegend als abschließende Konkretisierung der Festsetzungsmöglichkeit für „Familienheime” in § 9 Abs. 1 Nr. 1g) BBauG beziehungsweise – seit der Novelle 1976 entsprechend – in § 9 Abs. 1 Nr. 6 BBauG angesehene Befugnis der Gemeinden zur Beschränkung der Zahl der Wohnungen je Wohngebäude in § 3 Abs. 4 BauNVO 1962/68, die weitergehende planerische Anordnungen bezogen also auf die Errichtung auf nur einem Grundstück jedenfalls nicht zuließ, zumindest bedenklich (hier mit Blick auf eine beabsichtigte und im Beschwerdeverfahren eingeleitete Teilung des Grundstücks durch den Bauherrn letztlich offen gelassen).
3. Alleiniger Beurteilungsgegenstand des Nachbarrechtsbehelfs ist das in der Baugenehmigung beziehungsweise in den diese inhaltlich konkretisierenden genehmigten Bauvorlagen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung darin enthaltender Grüneintragungen der Bauaufsichtsbehörde, dargestellte Bauvorhaben. Das gilt auch für die sich aus dem Lageplan ergebenden Grenzverläufe (§§ 3 Abs. 3 Nr. 3 BauVorlVO 1996/2004). Eine inhaltliche Änderung der Genehmigungsentscheidung durch so genannte Tekturgenehmigungen im Verlaufe des Nachbarrechtsbehelfsverfahrens ist in diesem und daher auch im Beschwerdeverfahren gegen stattgebende Aussetzungsentscheidungen des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigen.
4. Betrifft eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) nicht nachbarschützende Festsetzungen eines Bebauungsplans, hier über das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubaren Grundstücksflächen (Baugrenzen), so kann sich ein nachbarlicher Abwehranspruch allenfalls über das Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme in entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO unter Berücksichtigung der Interessenbewertung des § 31 Abs. 2 BauGB ergeben. Eine rechtliche „Aufwertung” der Nachbarposition lässt sich daher über diesen „Umweg” nicht über die objektiven Dispensvoraussetzungen begründen.
5. Auch wenn mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon auszugehen ist, dass eine Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots grundsätzlich unter den Gesichtspunkten des „Einmauerns” beziehungsweise der „erdrückenden Wirkung” mit Blick auf den Umfang eines Bauvorhabens selbst dann rechtlich nicht generell ausgeschlossen ist, wenn die landesrechtlichen Vorschriften über die Grenzabstände, die eine ausreichende Belichtung von Nachbargrundstücken sicherstellen und der Wahrung des Nachbarfriedens dienen sollen, eingehalten sind, so kann dies jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen.
6. Die Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Wahrung der ausreichenden Belichtung eines Grundstücks fällt grundsätzlich in den Risiko- und Verantwortungsbereich des Eigentümers. Dem Eigentümer eines Grundstücks in der Ortslage steht auch unter dem Aspekt des Rücksichtnahmegebots kein Anspruch auf eine „unverbaute” Aussicht oder auf eine generelle Vermeidung der Schaffung von Einsichtsmöglichkeiten auf sein Grundstück zu. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung seines Grundstückes als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung bewahrt zu werden.
7. Es gehört nicht zu den Aufgaben eines privaten Nachbarn, allgemein über die Einhaltung des öffentlichen Baurechts zu „wachen” und jegliche Realisierung rechtswidriger Bauvorhaben in der Nachbarschaft zu verhindern.
Normenkette
BauGB § 212a Abs. 1, § 31 Abs. 2; VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3; BBauG § 9 Abs. 1 Nr. 6; BauNVO § 15 Abs. 1; BauNVO 1962/68 § 3 Abs. 4
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Beschluss vom 30.09.2005; Aktenzeichen 5 F 24/05) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30. September 2005 – 5 F 24/05 – abgeändert und die Anträge des Antragstellers werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen im erstinstanzlichen Verfahren werden nicht erstattet.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I. Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Parzelle ...