Verfahrensgang

VG Düsseldorf (Aktenzeichen 8 K 842/02)

 

Tenor

Die Berufung wird zugelassen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Das Antragsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. Satz 5 VwGO).

Die Berufung ist nunmehr innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von der Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 6 VwGO).

 

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO ist die Berufung durch das Oberverwaltungsgericht zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Der Kläger, ein griechischer Staatsangehöriger, hat mit detaillierter Begründung vornehmlich geltend gemacht, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), weil seine Ausweisung entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts und insofern namentlich der Richtlinie 64/221 EWG nicht genüge. Der damit hinreichend dargelegte Zulassungsgrund ist auch gegeben.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes,

vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – Rs. C- 482/01 u. C-439/01 (Orfanopoulos u. Oliveri) –, DVBl 2004, 876 (877, 881)

der sich der Senat anschließt, erfordern Art. 39 EG und Art. 3 der Richtlinie 64/221 EWG hinsichtlich der Ausweisung eines nach diesen Vorschriften freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedsstaates, dass die innerstaatliche Behörde unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens im Einzelfall eine Beurteilung dahingehend vornimmt, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt.

Die danach gebotene Interessenabwägung in jedem Einzelfall lässt sich nach den gestuften Regelungen des geltenden Ausländerrechts (§§ 45 bis 48 AuslG), denen eine typisierende Betrachtung des Gesetzgebers zugrunde liegt, ausschließlich in der Weise verwirklichen, dass die deutsche Behörde bei der Erfüllung eines Ausweisungstatbestandes durch den freizügigkeitsberechtigten Bürger eines anderen Mitgliedsstaates eine Ermessensentscheidung trifft.

Im Ergebnis ebenso: BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 30.02 –, Pressemitteilung des BVerwG Nr. 47/2004 vom 4. August 2004.

Denn bei der Ist-Ausweisung (§ 47 Abs. 1 AuslG) ist eine einzellfallbezogene Abwägung gar nicht und bei der Regel-Ausweisung (§ 47 Abs. 2, 3 Satz 1 VwGO) nur in Ausnahmefällen vorgesehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 1999 – 1 C 11.99 –, NVwZ-RR 2000, 320 = DVBl. 2000, 425 = DÖV 2000, 425 = AuAS 2000, 98 = InfAuslR 2000, 105 = EZAR 031 Nr. 6 sowie die Senatsbeschlüsse vom 10. Oktober 2003 – 18 B 1956/2 – (bez. Ist-Ausweisung) und vom 20. Februar 2003 – 18 B 270/03 – (bez. Regel-Ausweisung).

Der Kläger hat in seinem Zulassungsantrag schlüssig dargelegt, dass er nach den oben genannten Vorschriften freizügigkeitsberechtigt ist. Er hat nämlich ausgeführt, er habe während der Verbüßung seiner ersten Strafhaft im Januar 1998 erfolgreich eine Ausbildung zum Industriemechaniker abgeschlossen und anschließend auch von Anfang Mai bis Anfang August 1998 in diesem Beruf gearbeitet, bevor er – nach kurzer Arbeitslosigkeit – im November 1998 erneut inhaftiert worden sei.

Vgl. zum Begriff Arbeitnehmer im Sinne des Art. 48 EG: EuGH, Urteil vom 6. November 2003 – Rs. C-413/01 (Ninni-Orasche) –, InfAuslR 2004, 89 = BayVBl 2004, 462 sowie zur Bedeutung einer Inhaftierung, wenn der Betroffenen vor der Haft eine Beschäftigung ausgeübt hat: EuGH, Urteil vom 29. April 2004 a.a.O. Seite 878.

Eine abschließende Beantwortung der Frage, ob der Kläger tatsächlich freizügigkeitsberechtigt ist, wie die Parteien übereinstimmend annehmen, muss dem Berufungsverfahren vorbehalten bleiben.

Ausgehend von dem Vorstehenden bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen klageabweisenden Urteils, weil vorliegend über die Ausweisung nicht nach Ermessen entschieden worden ist. Dies folgt ersichtlich aus der Begründung des Widerspruchsbescheides, die wegen des in § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO normierten Grundsatzes der einheitlichen Verwaltungsentscheidung für die gerichtliche Kontrolle insoweit letztlich allein maßgeblich ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 1989 – 1 C 70.86 –, BVerwGE 81, 356 = NVwZ 1989, 768 = DVBl 1989, 724 = DÖV 1989, 824 = InfAuslR 1989, 225; Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 2. Auflage, § 79 Rn. 2 f.; Eyermann/Happ, VwGO, 11. Auflage, §...

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