Leitsatz (amtlich)
Die Aufgabe des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet, von der nach sechsmonatiger Abwesenheit auszugehen ist, führt zum Erlöschen eines Anspruchs aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80.
Normenkette
ARB 1/80 Art. 6 Abs. 1, Art. 7 S. 1; AufenthG/EWG § 11; AuslG § 44 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
VG Minden (Aktenzeichen 11 L 359/02) |
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen nicht zu einer Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Das sich lediglich auf die Ausweisung erstreckende Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Entscheidung des VG erfolgreich in Frage zu stellen.
Soweit das VG die Ablehnung des Aussetzungsantrags hinsichtlich der Ausweisungsverfügung damit begründet hat, dass der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG zwingend auszuweisen ist, weil er keinen erhöhten Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genieße, ist gegen die Entscheidung nichts zu erinnern. Die vom Kläger hierzu aufgeworfene Frage, ob auf seine im Jahre 1992 begangene Straftat das Ausweisungsrecht in der zurzeit geltenden Fassung anzuwenden sei, ist bereits wegen der gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten nicht entscheidungserheblich. Schon § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der damals geltenden Fassung vom 9.7.1990 (BGBl. I S. 1354) sah bei einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren die so genannte Istausweisung vor. Dessen ungeachtet ist es in der Rechtsprechung geklärt,
vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 13.2.1996 – 1 B 21.96 –, Buchholz 402.240 Nr. 10; Beschluss vom 15.1.1997 – 1 B 256.96 –, Buchholz 402.240 Nr. 12; Urteil vom 3.6.1997 – 1 C 23.96 –, Buchholz 402.240 Nr. 14 = NVwZ 1997, 1126 = InfAuslR 1997, 390 = AuAS 1998, 38 = EZAR 032 Nr. 12; OVG NRW, Beschluss vom 26.2.1999 – 18 A 757/98 –,
dass für die gerichtliche Nachprüfung einer Ausweisung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgebend ist und zwar selbst dann, wenn sowohl die die Ausweisung des Ausländers rechtfertigende Tat als auch die Verurteilung vor Inkrafttreten dieses Gesetzes lagen.
Auch das hier allenfalls zu Gunsten des Antragstellers in Betracht kommende Assoziationsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei (ARB 1/80) führt entgegen seiner Auffassung – ungeachtet der Frage, ob er vor seiner Ausreise eine der insoweit allein in Betracht kommenden Rechtspositionen aus Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 inne hatte – zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Ein etwaiges Aufenthaltsrecht wäre durch die im Juli 1993 erfolgte Ausreise des Antragstellers, der erst im Oktober 1999 nach Deutschland zurückkehrte, jedenfalls gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG erloschen. Nach dieser Vorschrift steht unwiderleglich fest, dass der Auslandsaufenthalt schon wegen seiner Dauer von mehr als sechs Monaten nicht mehr nur vorübergehender Natur war, sondern eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes ins Ausland stattgefunden hat und die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers erloschen ist.
Der Senat hat zu Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 bereits entschieden, dass sich das Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung eines türkischen Arbeitnehmers infolge Ausreise in Ermangelung einer assoziationsrechtlichen Regelung ausschließlich nach dem Ausländergesetz beurteilt.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse 4.9.2001 – 18 B 68/00 – und vom 16.12.1993 – 18 B 2039/93 –, NVwZ 1994, 1234 = NWVBl. 1994, 232 = EZAR 019 Nr. 4.
Es führte zu keinem anderen Ergebnis, wenn insoweit bereits das für Unionsbürger geltende Gemeinschaftsrecht auf den Antragsteller anwendbar wäre; denn nach § 11 Satz 1 AufenthG/EWG erlischt eine Aufenthaltserlaubnis-EG, wenn sich der Ausländer – wie hier – seit mehr als sechs Monaten nicht mehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgehalten hat.
Darüber hinaus kann sich ein solcher Ausländer bei einer Rückkehr in das Bundesgebiet auch deshalb nicht mehr auf frühere vor seiner Ausreise bestehende beschäftigungs- und aufenthaltsrechtliche Positionen aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 berufen, weil er wegen der Verlagerung seines Lebensmittelpunktes nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates angehört.
Vgl. dazu nur EuGH, Urteil vom 10.2.2000 – Rs C-340/97 (Nazli) –, Nrn. 41 u. 44, InfAuslR 2000, 161 (163) = NVwZ 2000, 1029 = DVBl. 2000, 550 = EZAR 816 Nr. 4; siehe auch Tz. 2.2.4 der Allgemeinen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum ARB 1/80 vom 2.5.2002 (InfAuslR 2002, 349).
Sofern ein früher erreichter Integrationsgrad in den Arbeitsmarkt, auch derjenige mit der gefestigten beschäftigungsrechtlichen Position nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80, durch eine – wie hier – nicht nur vorübergehende Ausreise verloren gegangen ist, muss sich der türkische Staatsangehörige somit seine Integration in den Arbeitsmarkt bei einer Rückkehr in das Bundesgebiet neu aufbauen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss 4.9.2001 – 18 B 6...