Leitsatz (amtlich)
Die Arbeitsschutzrichtlinie 6/1, 3 „Raumtemperaturen” ist hinsichtlich ihrer Nr. 2.1 Buchst. e nicht anzuwenden, weil die darin für Verkaufsräume festgesetzte Raumtemperatur von + 19 Grad Celsius nicht die körperliche Beanspruchung der Arbeitnehmer berücksichtigt.
Normenkette
ArbStättV § 6 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Arnsberg (Aktenzeichen 1 K 6924/93) |
Tatbestand
Die Klägerin betreibt einen 6.000 m² großen Baumarkt. Das beklagte Amt für Arbeitsschutz gab ihr auf, durch entsprechende Maßnahmen sicherzustellen, daß die Raumtemperatur in allen Verkaufsräumen während der Öffnungszeiten mindestens + 19 Grad Celsius betrage. Die hiergegen gerichtete Klage führte im Berufungsverfahren zur Aufhebung der Verfügung.
Entscheidungsgründe
Die angefochtene Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 120 f und § 139 i GewO, da sie der Durchführung von Pflichten dient, die sich aus der Arbeitsstättenverordnung als einer aufgrund von § 120 e und § 139 h GewO ergangenen Rechtsverordnung ergeben und die auch der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin von Personen auferlegt sind, die entweder kaufmännische Dienste (§ 139 i GewO) oder andere Hilfsdienste (§ 120 f GewO) verrichten.
Nach § 6 Abs. 1 Satz, 1 ArbStättV muß in Arbeitsräumen während der Arbeitszeit eine unter Berücksichtigung der Arbeitsverfahren und der körperlichen Beanspruchung der Arbeitnehmer gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur vorhanden sein. Zwar ist § 139 h GewO und damit eine Ermächtigungsgrundlage für die Arbeitsstättenverordnung durch das Gesetz zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weitere Arbeitsschutz-Richtlinien vom 7.8.1996, BGBl I S. 1246, aufgehoben worden, doch läßt der Wegfall der Verordnungsermächtigung die Wirksamkeit der auf ihrer Grundlage erlassenen Verordnung grundsätzlich – und so auch hier – unberührt, weil nichts dafür spricht, daß die Arbeitsstättenverordnung mit der neuen Gesetzeslage unvereinbar ist oder allein keine sinnvolle Regelung darstellt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.1.1997 – 1 C 20.95 –, DÖV 1997, 739 = GewArch 1997, 245.
Die Arbeitsstättenverordnung trifft keine Bestimmung über die konkrete Höhe der gesundheitlich zuträglichen Raumtemperatur. Insoweit greift die Arbeitsstätten-Richtlinie (ASR) 6/1, 3 ein, der die in der Verordnung nicht geregelten technischen Einzelheiten entnommen werden dürfen. Wenn die Arbeitsstätten-Richtlinien auch keine Rechtsnormen sind, dürfen sie gleichwohl – vergleichbar anderen Richtlinien, die sachverständige Erfahrungen zum Ausdruck bringen – als dokumentierte allgemein anerkannte Regeln oder gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse angesehen werden, wenn und soweit kein Anhalt für eine Fehlbeurteilung vorliegt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.1.1997, a.a.O.
Hinsichtlich der zur Grundlage der angefochtenen Ordnungsverfügung gemachten Nr. 2.1 Buchstabe e der ASR 6/1, 3 liegen Anhaltspunkte für eine derartige Fehlbeurteilung vor. Entscheidende Kriterien für die Bestimmung der gesundheitlich zuträglichen Raumtemperatur sind die Arbeitsverfahren und die körperliche Beanspruchung der Arbeitnehmer. Das Arbeitsverfahren ist vorliegend nicht bestimmend für die in einem Baumarkt gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur, weil der Verkauf in einem SB-Markt nicht zwingend an eine bestimmte Temperatur gebunden ist. Das zweite Kriterium hingegen, das Maß der körperlichen Beanspruchung der Arbeitnehmer, ist für die gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur maßgeblich; denn es leuchtet ohne weiteres ein, daß schwere körperliche Arbeit besser bei niedrigeren Temperaturen verrichtet werden kann, während für eine überwiegend sitzende Tätigkeit, z.B. in einem Büro, höhere Raumtemperaturen erforderlich sind. Dementsprechend sieht die ASR 6/1, 3 auch in Nr. 2.1 Buchstaben a, b, und c unterschiedliche Raumtemperaturen bei überwiegend sitzender Tätigkeit (19 Grad Celsius), überwiegend nicht sitzender Tätigkeit (17 Grad Celsius) und schwerer körperlicher Arbeit (12 Grad Celsius) vor. Dies ist sachgerecht und entspricht der Vorgabe in § 6 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV. Die Nrn. 2.1. Buchstaben d und e der ASR 6/1, 3 orientieren sich hingegen nicht, wie von § 6 Abs. 1 Satz 1 Arb-Stättv gefordert, an der körperlichen Beanspruchung der Arbeitnehmer, sondern an der Art des Arbeitsplatzes, und legen für Büroräume eine Temperatur von 20 Grad Celsius und generell für Verkaufsräume, zu denen auch der Baumarkt der Klägerin gehört, eine solche von 19 Grad Celsius fest. Dies ist nur unter der Voraussetzung sachgerecht, daß tatsächlich in allen Büroräumen und in allen Verkaufsräumen Arbeitnehmer beschäftigt werden, die entweder praktisch ausschließlich sitzend (in Büroräumen) oder aber überwiegend sitzend (in Verkaufsräumen) tätig sind. Für Büroräume mag das zutreffen, nicht jedoch für Verkaufsräume. Verkaufsräume sind derart vielgestaltig, daß keineswegs davon ausgegangen werden kann, in jedem Verkaufsraum würden Arbeitnehmer beschäftigt, die überwiegend sitzend tätig sind. Nach den Erfahrungen de...