Leitsatz
Der EuGH hat die Regelung des § 16 Abs. 2 ErbStG als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gekippt. Die Regelung sieht für den Vermögensanfall von Inlandsvermögen eines beschränkt Steuerpflichtigen einen niedrigeren Freibetrag vor als der Freibetrag, der zur Anwendung kommen würde, wenn der Schenker oder Erwerber zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz in Deutschland gehabt hätte.
Sachverhalt
Ist der Schenker/Erblasser und/oder der Erwerber ein Inländer, kommt bei Schenkungen oder Nachlässen je nach Steuerklasse ein Freibetrag von 20000 EUR, 200000 EUR, 400000 EUR oder 500000 EUR zur Anwendung. Für Erwerbe unter Steuerausländern hingegen gilt bei der Übertragung von Inlandsvermögen nur ein verhältnismäßig niedriger pauschaler Freibetrag von 2000 EUR.
Im Urteilsfall erwarb eine in den Niederlanden wohnhafte deutsche Staatsangehörige im Wege der Schenkung von ihrer Mutter, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige ist und seit mehr als 50 Jahren in den Niederlanden wohnt, ein in Düsseldorf belegenes Grundstück mit einem Steuerwert von 255 000 EUR. Das Finanzamt setzte gegen die Erwerberin 27929 EUR Schenkungsteuer unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 1100 EUR fest (Rechtslage bis 31.12.2008; seit 1.1.2009: 2000 EUR). Gegen diese Steuerfestsetzung legte die Erwerberin Rechtsmittel ein. Die erste Klageinstanz, das FG Düsseldorf, setzte das Verfahren aus und legte den Sachverhalt dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Der EuGH gab der Klägerin Recht und sieht in der Regelung des § 16 Abs. 2 ErbStG einen Verstoß gegen Art. 56 EG i.V.m. Art. 58 EG (freier Kapitalverkehr). Begründung: Stellt eine nationale Regelung für Zwecke der Besteuerung einer im Wege der Schenkung erworbenen, im Inland belegenen Immobilie einen ausländischen Schenkungsempfänger, der diese Immobilie von einem im Ausland ansässigen Schenker erhalten hat, mit inländischen Erwerbern auf die gleiche Stufe, darf der Schenkungsempfänger im Rahmen dieser Besteuerung hinsichtlich der Anwendung eines Freibetrags auf die Steuerbemessungsgrundlage für diese Immobilie nicht unterschiedlich behandelt werden. Im Urteilsfall kam der EuGH daher zu dem Entschluss, dass die deutsche Regelung des § 16 Abs. 2 ErbStG gegen die Vorgaben des EU-Rechts verstößt.
Hinweis
Die Entscheidung hat praktische Relevanz in Fällen, in denen weder der Erblasser (Schenker) noch der Erwerber Inländer ist und sog. Inlandsvermögen übertragen wird, das nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG ein eigenes Steuersubjekt mit "persönlicher Steuerpflicht" begründet. Die Entscheidung betrifft sowohl Erbschaften und Schenkungen nach dem alten Recht als auch die neuen Vorschriften der Erbschaftsteuerreform 2009. Zum Inlandsvermögen zählen u.a.: inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen, inländisches Grundvermögen, inländisches Betriebsvermögen und sonstiges Vermögen wie wesentliche Beteiligungen, Erfindungen, Gebrauchsmuster, einem inländischen Betrieb überlassene Wirtschaftsgüter oder grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen. In einschlägigen Fällen sollten sich Schenker bzw. Erwerber auf das vorstehende EuGH-Urteil berufen, wenn zwischen ihnen ein Verwandtschaftsverhältnis nach den Steuerklassen I oder II besteht oder der Erwerber der eingetragene Lebenspartner ist.
Die Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG hatte bislang in der Praxis wenig Bedeutung. Denn die Steuerpflicht für das Inlandsvermögen lässt sich leicht abwenden, indem Bargeld statt Inlandsvermögen verschenkt wird und dem Bedachten der Schenkungsgegenstand verkauft wird oder man setzt im Testament eine Vertrauensperson, z.B. einen Treuhänder oder einen Anwalt, zum Erben ein und setzt den Kindern ein Geldvermächtnis über den Verkehrswert des Inlandsvermögens aus. Mit dem Geldvermächtnis beschwert ist der Treuhänder, der die Aufgabe hat, das Grundstück zu verkaufen und das Geld an die Erben zu übertragen, und zwar als steuerfreier "Nicht-Inlandsvermögenserwerb".
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 22.04.2010, C-510/08.