2.2.1 "Nach dem Leben trachten"
Der Erblasser kann dem Abkömmling, den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling
- dem Erblasser,
- dem Ehegatten des Erblassers,
- einem anderen Abkömmling oder
- einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person.
nach dem Leben trachtet.
Heute sind neben der klassischen Kleinfamilie, in der Ehegatten mit ihren gemeinsamen Kindern zusammenleben, vielfältige andere Formen des Zusammenlebens anzutreffen (Patchworkfamilien, nicht eheliche Lebensgemeinschaften, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit oder ohne Kinder). Durch die Regelungen werden auch die Personen geschützt, die in einer solchen – inzwischen gesellschaftlich akzeptieren – alternativen Familienform zusammen leben.
Aus den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf ergibt sich, dass allerdings nicht jeder Angriff auf das Leben eines Verwandten die Entziehung des Pflichtteils rechtfertigen soll (wobei dann unter Umständen § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB zum Tragen kommt). Geschützt werden sollen vielmehr nur die Personen, die mit dem Erblasser in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft zusammen leben oder auf andere Weise mit ihm eng verbunden sind. Der Gesetzentwurf nennt hier ausdrücklich die Stief- oder Pflegekinder.
Daher sind unter der in die Gruppe der "ähnlich nahe stehenden Personen" nur diejenigen einzubeziehen, die im Verhältnis zum Erblasser eine einem Ehegatten oder Abkömmling ähnliche Position haben. Hierzu gehören:
- nicht ehelicher Lebenspartner,
- Stiefkinder,
- Pflegekinder,
- Kinder, Stiefkinder und Pflegekinder des nicht ehelichen Lebenspartners.
Auf eine Zugehörigkeit zum Haushalt des Erblassers kommt es nicht an.
Richtet sich der Angriff also gegen ein Kind des Ehepartners des Erblassers, das im Haushalt seines anderen leiblichen Elternteils lebt, rechtfertigt dieser Angriff die Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
Umgekehrt begründet die bloße Zugehörigkeit zum Haushalt des Erblassers ebenso wenig wie ein sonstiges Verwandtschaftsverhältnis nicht den Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
Wenn der Abkömmling des Erblassers, der im Haushalt des Erblassers mitlebenden Mutter der nicht ehelichen Lebensgefährtin nach dem Leben trachtet, kann die Entziehung des Pflichtteils nicht auf § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt werden. In Betracht kommt aber möglicherweise eine Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB (dazu unten).
Diese Unterscheidung rechtfertigt sich, weil die Pflichtteilsentziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB entsprechend der verfassungsgerichtlichen Vorgaben (s. o.) nur die Familie im engsten Sinne und damit die Lebenspartner – ob verheiratet oder nicht – und Kinder oder diesen gleichgestellte Personen umfasst.
2.2.2 Verbrechen oder schweres vorsätzliches Vergehen (§ 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB)
Diese Regelung entspricht im Kern § 2333 Nr. 3 a. F. BGB. Anders als in der bisherigen Regelung, die nur den Erblasser und seinen Ehegatten in den Schutzbereich aufgenommen hatte, umfasst § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB nun all die Personen, die in den Schutzbereich des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehören (siehe oben).
2.2.3 Verletzung von Unterhaltspflichten (§ 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB)
Die Verletzung von Unterhaltspflichten war auch bisher ein Pflichtteilsentziehungsgrund (§ 2333 Nr. 4 a. F. BGB).
Nach wie vor rechtfertigt nur die Verletzung von Unterhaltspflichten gegenüber dem Erblasser die Entziehung des Pflichtteils.
Wenn unterstellt wird, dass der Erblasser unterhaltsberechtigt ist, dürfte aber praktisch kein Erbe vorhanden sein, so dass sich die Frage des Pflichtteilsanspruchs nicht stellen wird.
2.2.4 Freiheitsstrafe (§ 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB)
Völlig neu eingeführt wurde der Tatbestand der Pflichtteilsentziehung wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe. Danach kann der Pflichtteil unter folgenden Voraussetzungen entzogen werden:
- Der Pflichtteilsberechtigte ist wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt oder
- die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt ist wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet worden.
- Und es muss in beiden Fallvarianten dem Erblasser wegen dieses Tatbestands unzumutbar sein, den Abkömmling am Nachlass teilhaben zu lassen.
Anders als nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB muss sich dieses Fehlverhalten nicht gegen den Erblasser oder eine sonstige in § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB genannte Person richten. Korrektiv ist hier der Umstand, dass es dem Erblasser wegen der Tat unzumutbar sein muss, den Abkömmling am Nachlass teilhaben zu lassen.
Diese Alternative soll gleichzeitig § 2333 Nr. 5 a. F. BGB ersetzen. Die durch § 2333 Nr. 5 a. F. BGB geschützte "Familienehre" ist weder klar definierbar noch stellt sie eine zeitgemäße Voraussetzung für die Entziehung des Pflichtteils dar.
Eine Alternative, die eine Pflichtteilsentziehung aufgrund einer Generalklausel möglich gemacht hätte, wäre mit den Vorgaben des BVerfG nicht vereinbar.
Straftat des Pflichtteilsberechtigten
Der Pflichtteilsberechtigte muss
- eine Straftat vorsätzlich begangen haben und
- wegen dieser Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewäh...