Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Versäumt es der Verwalter, jedem Wohnungseigentümer rechtzeitig vor Ablauf der Anfechtungsfrist eine Kopie des Versammlungsprotokolls zu übersenden, obwohl er dazu gemäß Verwaltervertrag verpflichtet ist, und hat in diesem Fall ein Eigentümer innerhalb der Anfechtungsfrist vorsorglich Beschlussanfechtungsklage erhoben, diese aber nach Kenntniserlangung der Beschlussfassungen wieder zurückgenommen, trägt er dennoch das Kostenrisiko
Normenkette
§§ 46 Abs. 1, 24 Abs. 7, 49 Abs. 2 WEG; §§ 269 Abs. 3 Satz 2 und 3, Abs. 5 ZPO
Vorbemerkung
Verwalter haben nach wie vor die Pflicht, Versammlungsprotokolle zumindest im Sinne von Ergebnis- bzw. Beschlussprotokollen zu erstellen, und zwar unabhängig davon, dass sie ab Mitte 2007 darüber hinaus auch eine Beschluss-Sammlung mit unverzüglichen Eintragungspflichten zu führen haben. Ist sogar Kopieübersendung von Protokollen an Eigentümer vereinbart oder verwaltervertraglich geregelt, sollten solche Protokollabschriften Eigentümern nach bisher h.M. spätestens vor Ablauf von 3 Wochen seit Beschlussfassung zugegangen sein. Geschieht dies – wie in der Praxis leider häufig – nicht, stellt sich nicht selten das Problem, ob Eigentümer auch vorsorglich Beschlüsse im Rahmen der einmonatigen Beschlussanfechtungs-Ausschlussfrist anfechten bzw. bei späterer Klagerücknahme nach erlangter Kenntnis der Beschlüsse Kosten des Verfahrens insbesondere gegen einen insoweit handlungssäumigen Verwalter gemäß § 49 Abs. 2 WEG erstattungsweise mit Erfolg geltend machen können.
Entscheidung
Das Gericht verneint entsprechenden Schadensersatzanspruch unter Hinweis darauf, dass der Kläger von Anfang an keinen hinreichenden Anlass zur Klageerhebung besaß. Vielmehr hätte er sich vor Klageerhebung ausreichend über gefasste oder nicht gefasste Beschlüsse informieren können, und zwar durch rechtzeitige Einsichtsrechte in die Beschluss-Sammlungseintragungen. Ist dies nicht geschehen, trifft ihn (und nicht die übrigen Eigentümer oder den Verwalter) das Prozessrisiko, wie dies auch anderweitig bereits in Rechtsprechung und Literatur bestätigt wurde (vgl. etwa LG München I, Beschluss v. 6.2.2008, 1 T 22613/07; LG Hamburg, Beschluss v. 19.8.2010, 318 T 57/10 und LG Karlsruhe, Beschluss v. 3.3.2009, 11 T 327/08). Bei rechtzeitiger Einsicht in die Beschluss-Sammlung hätte sich auch eine "vorsorglich" eingereichte Anfechtungsklage voll umfänglich erübrigt. Statt einer „Blind-Anfechtung„ hätte hier der Kläger auch telefonisch beim Verwalter oder auch bei anderen Versammlungsteilnehmern Erkundigungen einholen können.
Insoweit ist deshalb auch nicht von grobem Verschulden des Verwalters im Sinne des § 49 Abs. 2 WEG auszugehen. Im Übrigen hat der Kläger seinen Vorwurf gegen den Verwalter vorliegend auch nicht belegt, dieser hätte ihm das Protokoll vorsätzlich vorenthalten.
Kommentar
Rechnet ein Eigentümer, der an einer Versammlung etwa aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen und sich aus bestimmten Gründen auch nicht vertreten lassen konnte, mit ihn belastenden positiven wie negativen Beschlüssen, sollte er rechtzeitig darum bemüht sein, noch rechtzeitig innerhalb der Anfechtungsfrist Einsicht in die Beschluss-Sammlung zu nehmen bzw. durch einen Bevollmächtigten nehmen zu lassen. Über diesen Weg kann und muss er sich rechtzeitig in laufender einmonatiger Anfechtungsfrist (§ 46 Abs. 1 WEG) Kenntnis von gefassten Beschlüssen verschaffen, um ggf. auch diese Frist wahren zu können. Er darf deshalb nicht mehr allein auf rechtzeitigen Protokollzugang – wie dies früher vor Mitte 2007 der Fall war – vertrauen. Vorliegend wurde deshalb vom Gericht zu Recht dem klagenden Eigentümer das Kostenrisiko für die nachträglich von ihm zurückgenommene, "vorsorglich zur Fristwahrung" eingelegte Anfechtungsklage angelastet.
Was ist für den Verwalter wichtig?
Zum einen besteht für jeden Verwalter seit Mitte 2007 unverzügliche Beschluss-Sammlungsführungs- und -eintragungspflicht. Was die Auslegung des gesetzlichen Begriffs der "Unverzüglichkeit" betrifft, gehen einige Untergerichte und Literaturstimmen zzt. sehr streng von einer 3-Tages-Mindestfrist aus; im Gegensatz hierzu besteht im Augenblick Rechtsprechung des LG München I, die Frist für Eintragungen von mindestens einer Woche einhalten zu müssen (LG München I v. 6.2.2008, 1 T 22613/07, NZM 2008 S. 410). Verlangt ein Eigentümer mündlich oder schriftlich vom Verwalter Auskunft oder Einsicht in die Beschluss-Sammlung, sollten diese Wünsche auch respektiert und erfüllt werden (ggf. auch durch auszugsweise Kopieübersendung, möglicherweise gegen Rechnungstellung oder Kostenerstattungszusagen für Kopie- und Portokosten in angemessener Höhe).
Link zur Entscheidung
LG Stuttgart, Beschluss vom 15.01.2013, 19 T 295/12