Gesetzestext
(1) Das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück sowie eine Ladung zu einer Gerichtsverhandlung kann dem Schuldner auch in einer der folgenden Formen zugestellt worden sein:
a) |
persönliche Zustellung unter der Privatanschrift des Schuldners an eine in derselben Wohnung wie der Schuldner lebende Person oder an eine dort beschäftigte Person; |
b) |
wenn der Schuldner Selbstständiger oder eine juristische Person ist, persönliche Zustellung in den Geschäftsräumen des Schuldners an eine Person, die vom Schuldner beschäftigt wird; |
c) |
Hinterlegung des Schriftstücks im Briefkasten des Schuldners; |
d) |
Hinterlegung des Schriftstücks beim Postamt oder bei den zuständigen Behörden mit entsprechender schriftlicher Benachrichtigung im Briefkasten des Schuldners, sofern in der schriftlichen Benachrichtigung das Schriftstück eindeutig als gerichtliches Schriftstück bezeichnet oder darauf hingewiesen wird, dass die Zustellung durch die Benachrichtigung als erfolgt gilt und damit Fristen zu laufen beginnen; |
e) |
postalisch ohne Nachweis gemäß Absatz 3, wenn der Schuldner seine Anschrift im Ursprungsmitgliedstaat hat; |
f) |
elektronisch, mit automatisch erstellter Sendebestätigung, sofern sich der Schuldner vorab ausdrücklich mit dieser Art der Zustellung einverstanden erklärt hat. |
(2) Für die Zwecke dieser Verordnung ist eine Zustellung gemäß Absatz 1 nicht zulässig, wenn die Anschrift des Schuldners nicht mit Sicherheit ermittelt werden kann.
(3) Die Zustellung nach Absatz 1 Buchstaben a) bis d) wird bescheinigt durch
a) |
ein von der zuständigen Person, die die Zustellung vorgenommen hat, unterzeichnetes Schriftstück mit den folgenden Angaben:
i) |
die gewählte Form der Zustellung und |
ii) |
das Datum der Zustellung sowie, |
iii) |
falls das Schriftstück einer anderen Person als dem Schuldner zugestellt wurde, der Name dieser Person und die Angabe ihres Verhältnisses zum Schuldner, |
oder |
b) |
eine Empfangsbestätigung der Person, der das Schriftstück zugestellt wurde, für die Zwecke von Absatz 1 Buchstaben a) und b). |
Rn 1
Die Vorschrift behandelt eine Reihe von Möglichkeiten der Ersatzzustellung, in denen eine hinreichende Aussicht besteht, dass der Empfänger tatsächlich das betreffende Schriftstück erhält. Diese Möglichkeiten der Zustellung stehen gleichwertig neben jenen des Art 13; es muss keine Reihenfolge eingehalten werden (Wagner IPRax 05, 189, 195). Gleichzeitig regelt Art 14 aber abschließend die Möglichkeiten der Ersatzzustellung, die eine spätere Bestätigung der Säumnisentscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel erlauben. Sonstige Formen des nationalen Rechts, zB die remise au parquet oder in Deutschland die öffentliche Zustellung nach §§ 185 ff genügen nicht den Voraussetzungen für eine Bestätigung der späteren Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel (Erw 13). Bei unbekannter Anschrift des Schuldners bzw seines Vertreters (Art 15) ist daher wegen Abs 2 keine (fiktive) Zustellung und damit auch keine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel möglich (EuGH EuZW 12, 381 [EuGH 15.03.2012 - Rs. C-292/10] Rz 68 m Anm Bach; EuGH NJW 19, 2688).
Rn 2
Abs 1 lit a setzt voraus, dass diese Person in der Wohnung des Schuldners lebt oder dort beschäftigt (Hausangestellter) ist. Die Person muss alt und verständig genug sein, um von einer Weiterleitung an den Schuldner ausgehen zu können (MüKoZPO/Adolphsen Rz 5: mindestens 14 Jahre alte Person). Dieser Person muss das Schriftstück tatsächlich übergeben werden und es ist eine Empfangsbestätigung gem Abs 3 lit a oder b zu fertigen. Verweigert die Person die Annahme, so ist nach Abs 1 lit c oder 1 lit d vorzugehen, weil Art 13 I lit b sich nur auf die Annahmeverweigerung des Schuldners bezieht.
Rn 3
Eine Zustellung gem Abs 1 lit b ist auch dann möglich, wenn sich das zuzustellende Schriftstück nicht auf geschäftliche Aktivitäten des Schuldners bezieht (Zö/Geimer Rz 8), weil es hier nur auf die tatsächliche Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Kenntnisnahme ankommt. Es ist eine Empfangsbestätigung gem Abs 3a oder b erforderlich.
Rn 4
Gemeint ist in Abs 1 lit c der Briefkasten an der Wohnung oder am Geschäftslokal des Schuldners. Die Hinterlegung wird gem Abs 3 lit a bescheinigt. Hinterlegung im Briefkasten ist nach dem Verordnungstext ohne Rücksicht auf vorherige Versuche der persönlichen Zustellung möglich.
Rn 5
Die Zustellung nach Abs 1 lit d setzt den Einwurf einer besonders gekennzeichneten Benachrichtigung in den Briefkasten des Empfängers voraus. Ein ›Postamt‹ ist in Deutschland nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Filiale der Deutschen Post AG, aber auch eine solche eines privaten Kurierdienstes (Geimer/Schütze/Arnold Rz 25). Die Benachrichtigung muss – dem Wortlaut entgegen – beide Alternativen des Abs 1 lit d (gerichtliches Schriftstück und Hinweis auf Fristlauf) kumulativ erfüllen, der andere Wortlaut ist ein Redaktionsversehen (Geimer/Schütze/Arnold Rz 27; aA MüKoZPO/Adolphsen Rz 9; Rauscher GPR 03–04, 286, 290).
Rn 6
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