Zusammenfassung

 

Art. 1 Brüssel Ia-VO(1) Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii).

(2) Sie ist nicht anzuwenden auf:

a) den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, die ehelichen Güterstände oder Güterstände aufgrund von Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten,
b) Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren;
c) die soziale Sicherheit;
d) die Schiedsgerichtsbarkeit.
e) Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen,
f) das Gebiet des Testaments- und Erbrechts, einschließlich Unterhaltspflichten, die mit dem Tod entstehen.

A. Allgemeines und Zweck.

 

Rn 1

Die VO 1215/2012 regelt die internationale Zuständigkeit, Aspekte der Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit sowie die gegenseitige Urteilsanerkennung unter den EU-Mitgliedstaaten iSd Abs 3. Sie hat die zuvor geltende VO 44/2001 abgelöst, die ihrerseits an die Stelle des ursprünglichen Brüsseler Übereinkommens (EuGVÜ) getreten war. Im Verhältnis zu Dänemark gilt weiter das EuGVÜ, jedoch in der an die VO 44/2001 angepassten Fassung v 19.10.05 (AblEU L 299/62). Im Verhältnis zu Norwegen, Island und der Schweiz gilt das Parallelübereinkommen von Lugano (mit Anpassung an die VO 44/2001 v 30.10.07, AblEU L 339/3, in Kraft seit 1.1.11 bzw seit 1.5.11 für Island). Der unmittelbare Regelungsgegenstand des Art 1 ist der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung mit Wirkung für alle ihre Vorschriften (vgl EuGH Slg 82, 1189). Im Hinblick auf den BREXIT sah der das Austrittsübereinkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in Art 67 iVm Art 126 eine Weitergeltung der VO für alle während der Übergangszeit bis zum 31.12.20 erhobenen Klagen vor. Das EuGVÜ lebte nicht wieder auf.

 

Rn 2

Die VO bildet einen Kern des in der EU angestrebten einheitlichen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Bei der Schaffung eines einheitlichen Regimes der Urteilsanerkennung und gegenseitigen Vollstreckung in den Mitgliedstaaten stand ursprünglich vor allem der Gedanke der Titelfreizügigkeit im Gemeinsamen Markt (später: Binnenmarkt) im Vordergrund. Namentlich durch ihren 2015 in Kraft getretenen ›Recast‹ und die Abschaffung des Exequaturerfordernisses bewegt sich die VO in Richtung eines Systems der einheitlichen und unmittelbaren Urteilsgeltung. Freilich steht die fortbestehende Notwendigkeit einer Ordre public-Kontrolle der vollständigen Errichtung eines solchen Systems entgegen. Über die Urteilsanerkennung hinaus begründet die VO ein am Prinzip der Zuständigkeitsgerechtigkeit ausgerichtetes System partei- oder sachnaher Gerichtsstände unter Ausschluss ›exorbitanter‹ Zuständigkeiten. Mit den Vorschriften zur Beachtung anderweitiger Rechtshängigkeit dient sie zugleich der Verfahrenskoordination unter den Mitgliedstaaten.

B. Auslegung.

 

Rn 3

Für die Auslegung der VO gelten allgemeine Auslegungsgrundsätze, wie sie auch sonst im Unionsrecht anerkannt sind. Ferner müssen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts wertungsleitend berücksichtigt werden, etwa das Verbot der Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit (EuGH Slg 94, I-467) oder die Verwirklichung des Justizanspruchs und des Rechts auf ein faires Verfahren (EuGH C-292/10) sowie die Gewährleistungen der Grundrechtecharta (EuGH C-112/13). Hinzu kommen besondere zuständigkeitsrechtliche Auslegungsgrundsätze: namentlich der Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner besonderen Ausprägung als Zuständigkeitsklarheit (zB EuGH Slg 06, I-6827 Rz 24f) oder Gesichtspunkte der Sach-, Beweis-, Rechts- oder Vollstreckungsnähe oder eine auslegungsleitende Funktion des allgemeinen Beklagtengerichtsstands (zB EuGH Slg 07, I-08319). Anerkennungsrechtlich geht es va um die Gewährleistung der Titelfreizügigkeit. Geboten ist nach Erw 7 ROM I-VO grds eine harmonische Auslegung beider Rechtsakte; diese Maßgabe gilt aber nur iRv Sinn und Zweck der Brüssel Ia-VO (EuGH C-208/18 Rz 63).

Für die Auslegung der VO gelten allgemeine Auslegungsgrundsätze, wie sie auch sonst im Unionsrecht anerkannt sind. Ferner müssen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts wertungsleitend berücksichtigt werden, etwa das Verbot der Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit (EuGH Slg 94, I-467) oder die Verwirklichung des Justizanspruchs und des Rechts auf ein faires Verfahren (EuGH C-292/10) sowie die Gewährleistungen der Grundrechtecharta (EuGH C-112/13). Hinzu kommen besondere zuständigkeitsrechtliche Auslegungsgrundsätze: namentlich der Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner besonderen Ausprägung als Zuständigkeitsklarheit (zB EuGH Slg 06, I-6827 Rz 24f) oder Gesichtspunkte der Sach-, Beweis-, Rechts- od...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge