Prof. Dr. Boris Schinkels
Zusammenfassung
Art. 44 Brüssel Ia-VO(1) Wurde eine Versagung der Vollstreckung einer Entscheidung gemäß Abschnitt 3 Unterabschnitt 2 beantragt, so kann das Gericht im ersuchten Mitgliedstaat auf Antrag des Schuldners
a) |
das Vollstreckungsverfahren auf Sicherungsmaßnahmen beschränken, |
b) |
die Vollstreckung von der Leistung einer vom Gericht zu bestimmenden Sicherheit abhängig machen oder |
c) |
das Vollstreckungsverfahren insgesamt oder teilweise aussetzen. |
(2) Die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats setzt das Vollstreckungsverfahren auf Antrag des Schuldners aus, wenn die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ausgesetzt ist.
A. Einschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung (Abs 1).
Rn 1
Zum Begriff der Entscheidung vgl. Art 2. Unter die Vorschrift fallen kraft Verweises auch öffentliche Urkunden (Art 58 Abs 1 S 1) und Vergleiche (Art 59). Der Antrag auf Versagung der Vollstreckung führt nicht automatisch zur Beschränkung auf Sicherungsmaßnahmen. Erst auf besonderen Antrag des Schuldners kann das Gericht auf den Maßnahmenkatalog in Abs 1 lit a bis c zurückgreifen, der dem Vorbild aus Art 23 EuMahnVO nachgebildet ist. Die Entscheidung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei sind nach dem BGH (BeckRS 22, 14135) die Erfolgsaussichten des Versagungsantrags, die dem Schuldner drohenden Schäden (Darlegungslast des Schuldners) und das Interesse des Gläubigers an einer effektiven grenzüberschreitenden Vollstreckung einzubeziehen. Die VO überlässt die nähere Ausgestaltung der Maßnahmen dem autonomen Prozessrecht (Art 41 I). Die noch für die VO 44/2001 maßgeblichen §§ 20 ff AVAG sind nicht mehr auf die neue EuGVO (Brüssel Ia) anwendbar. Gem § 1115 VI ZPO wird über den Antrag nach Art 44 I durch einstweilige Anordnung entschieden; zur Zuständigkeit vgl § 1115 I, II. § 1116 ZPO gilt hingegen nur für einen Antrag iSv Art 44 Abs 2. Zu Rechtsbehelfen hiergegen vgl Art 49.
Rn 2
Möglich ist gem lit a zunächst die Beschränkung auf Sicherungsmaßnahmen, also auf solche, die auf Absicherung der Vollstreckungsmöglichkeit, nicht aber auf Befriedigung des Gläubigers abzielen. Naheliegend ist eine Orientierung an § 720a ZPO (hierfür HK-ZPO/Dörner Rz 2). Alternativ kann die Vollstreckung von der Leistung einer vom Gericht zu bestimmenden Sicherheit abhängig gemacht werden (lit b). Eine bereits für die Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungsstaats vorgesehene Sicherheitsleistung ist insoweit zu berücksichtigen. Ferner kann die Vollstreckung ganz oder teilweise ausgesetzt werden (lit c). Auch wenn hierfür – anders als in Art 23 EuMahnVO – keine ›außergewöhnlichen Umstände‹ vorausgesetzt werden, dürfte insoweit Zurückhaltung geboten sein.
B. Wegfall der Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat.
Rn 3
Die (ursprüngliche) Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat ist bereits als Voraussetzung der Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat (Art 39) von den Vollstreckungsbehörden zu prüfen (vgl Art 42 I lit b). Abs 2 ist aber insoweit von nicht lediglich klarstellender Bedeutung, als er die Berücksichtigung der Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat von einem Schuldnerantrag abhängig macht. Gem § 1115 VI ZPO wird über den Antrag nach Art 44 durch einstweilige Anordnung entschieden. Während Art 44 Abs 2 explizit nur die Aussetzung betrifft, erfasst § 1116 ZPO auch den Fall der endgültigen Aufhebung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsmitgliedstaat (Schlosser/Hess Rz 12).