Prof. Dr. Caroline Sophie Rupp
Rn 1
§ 107 regelt die Anerkennung ausl Entscheidungen in Ehesachen.
I. Vorrangige Rechtsakte.
Rn 2
Vorrangige völkerrechtliche Abkommen (§ 97 I 1) bestehen mit der Schweiz u Tunesien (MüKoFamFG/Rauscher Rz 10 f). Als europäische Regelung hat die Brüssel IIb-VO Vorrang (§ 97 I 2) für Ehesachen (§ 98 Rn 2). Art 30 ff Brüssel IIb-VO regeln die Anerkennung v Entscheidungen (Art 2 I Brüssel IIb-VO) aus Brüssel-IIb-MS: Diese sind in allen anderen MS ohne weitere Nachprüfung anzuerkennen (Art 30 I Brüssel IIb-VO). Ohne förmliches Verfahren wird über die Anerkennung grds inzident entschieden (Art 30 V Brüssel IIb-VO), eine klarstellende Feststellung ist auf Antrag möglich (Art 30 III, IV Brüssel IIb-VO, Verfahren nach § 32 iVm §§ 16 ff IntFamRVG).
Rn 2a
Im Umgang mit Privatscheidungen ist zu differenzieren. Für mitgliedstaatliche Privatscheidungen ab dem 1.8.22 gelten die Regelungen zur Anerkennung öffentlicher Urkunden und Vereinbarungen in Art 64 ff Brüssel IIb-VO (Kramme GPR 21, 101; Dutta FamRZ 20, 1428). Allerdings ist offen, welcher Anwendungsbereich diesem Spezialregime verbleibt und inwiefern auch außergerichtliche Scheidungen als ›Entscheidungen‹ nach Art 30 ff Brüssel IIb-VO anzuerkennen sind (Dutta FamRZ 23, 16). Die sehr str Anerkennung von Privatscheidungen unter öffentlicher Kontrolle als ›Entscheidungen‹ unter der Brüssel IIa-VO (bejahend zB Sonnentag/Haselbeck IPRax 22, 22– sehr zurückhaltend etwa Sternal/Dimmler Rz 8) hat der EuGH für die italienische Scheidung beim Zivilstandsbeamten bejaht (EuGH FamRZ 2023, 21 – Senatsverwaltung für Inneres und Sport./. TB = ECLI:EU:C:2022:879 m Anm Henrich IPRax 23, 268 sowie Mayer ZEuP 23, 461; Vorabentscheidungsersuchen des BGH FamRZ 21, 119 mAnm Mayer, 214 m Anm Bargelli). Mit der Einbeziehung auch anderer mitgliedstaatlicher außergerichtlicher Scheidungsformen in die Brüssel IIa-VO – und damit ggf auch das Entscheidungsanerkennungsregime der Brüssel IIb-VO – ist zu rechnen. Ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen des KG hinsichtlich der spanischen notariellen Scheidung (KG FamRZ 22, 1122 m Anm Sonnentag) wurde gestrichen (EuGH FamRZ 23, 349 = ECLI:EU:C:2022:1043 m Anm Dutta), auch zB für die griechische notarielle Scheidung wird die Anwendung der Brüssel IIa-VO befürwortet (Koutsouradis/Sonnentag FamRZ 22, 1430, 1434 f). Die nach hL von der Brüssel IIa-VO nicht erfassten mitgliedstaatlichen außergerichtlichen Scheidungen mit nur deklaratorischer behördlicher bzw gerichtlicher Bestätigung oder Registrierung (offen EuGH IPRax 17, 90 – Sahyouni I = ECLI:EU:C:2016:343; EuGH IPrax 18, 261 – Sahyouni II = ECLI:EU:C:2017:988; ausf Pika/Weller IPRax 17, 65 f mwN) unterfallen dagegen dem Urkundenanerkennungsregime der Art 64 ff Brüssel IIb-VO.
II. Autonomes Recht.
Rn 3
Dem autonomen Anerkennungsverfahren unterliegen in Dänemark sowie in Drittstaaten ergangene rechtskräftige Entscheidungen in Ehesachen (KG FamRZ 19, 1534; MüKoFamFG/Rauscher Rz 21). ›Ehesache‹ ist weiter als in § 121 zu verstehen u erfasst neben Scheidungen mit oder ohne Auflösung des Ehebandes auch Eheaufhebungen, Ehenichtigerklärungen u Feststellungen über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe. Umstr ist die Anwendung auf gleichgeschlechtliche Ehen (hM befürwortend, vgl BeckOKFamFG/Sieghörtner Rz 13; MüKoFamFG/Rauscher Rz 4a) u Lebenspartnerschaften (hM abl, vgl Sternal/Dimmler Rz 17; MüKoFamFG/Rauscher Rz 4). Die Anerkennungsfähigkeit abweisender Entscheidungen in Ehesachen ist abzulehnen (Sternal/Dimmler Rz 16). Folgesachen u Nebenentscheidungen sind (ggf nach Anerkennung der Ehesachen-Entscheidung) nach § 108 anzuerkennen (BGHZ 64, 19, 21; FamRZ 07, 717; Heiderhoff StAZ 09, 328, 329 f; BeckOKFamFG/Sieghörtner Rz 11 f).
Rn 4
Der weit auszulegende Entscheidungsbegriff erfasst alle Akte ausländischer Hoheitsgewalt, eingeschlossen verwaltungsbehördlicher (BeckOKFamFG/Sieghörtner Rz 8) u kirchengerichtlicher (sofern staatlich autorisiert, BGHZ 176, 365 Rz 30) Entscheidungen. Für die Anerkennung im Inland durch ausl Behördenvertreter vorgenommener Privatscheidungen gilt § 107 analog (BGHZ 82, 34; Nürnbg FamRZ 17, 360; MüKoFamFG/Rauscher Rz 22 – aA Sternal/Dimmler Rz 19), sie scheitert jedoch am gerichtlichen Scheidungsmonopol des Art 17 III EGBGB.
Rn 5
Problematisch ist der Umgang mit Privatscheidungen. Autonom anzuerkennen sind die wenigen nicht der Brüssel IIb-VO/Brüssel IIa-VO unterfallenden mitgliedstaatlichen (vgl Rn 2) sowie drittstaatliche Privatscheidungen. Sowohl einseitige als auch vertragliche Privatscheidungen können nach § 107 anerkannt werden, wenn eine staatliche Stelle daran zumindest deklaratorisch (zB durch Registrierung) mitgewirkt hat (BGHZ 82, 34; 110, 267; NJW 19, 931; NJW 20, 3592 – Sahyouni; München FamRZ 12, 1142; 15, 1611; BeckOKFamFG/Sieghörtner Rz 10); das soll zB Scheidungen nach iranischem Recht erfassen (Bremen FamRZ 23, 1500; Braunschw FamRZ 23, 349 m Anm Yassari). Für reine Privatscheidungen ohne jegliche staatliche Mitwirkung gilt das Anerkennungsmonopol des § 107 nicht (Zö/Geimer Rz 23 – aA MüKoFamFG/Rauscher Rz 28), a...