Rn 18
Die Neigungen, Bindungen und der Kindeswille sind gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls (BGH FuR 16, 576). Sind die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung ausnw nicht von Bedeutung und ist eine persönliche Anhörung auch nicht aus sonstigen Gründen angezeigt, kann gem Abs 2 S 1 Nr 3 von der Anhörung und der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks abgesehen werden. Gemeint sind solche Ausnahmefälle, in denen das Kind, bezogen auf den Verfahrensgegenstand und seinen Entwicklungsstand, typischerweise keine entscheidungsrelevanten Neigungen, Bindungen oder einen entsprechenden Willen entwickelt (BTDrs 19/23707, 57).
In Verfahren nach § 155a kann von der Anhörung des Kindes nicht deswegen abgesehen werden, weil ihm die abstrakte rechtliche Konstruktion der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht vermittelbar ist oder es vielen Kindern gleichgültig ist, ob ein Elternteil allein oder beide gemeinsam die elterliche Sorge ausüben (BGH FuR 16, 576). Kennt ein Kind seinen Vater nicht und kommt nur ein Umgangsausschluss in Betracht, weil dieser wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 96 Fällen verurteilt worden war und sich später erneut ›zufällig‹ kinderpornografisches Material bei ihm fand, soll eine Kindesanhörung entbehrlich sein, wenn das Kind nicht in der Lage ist, die Bedeutung der Entscheidungsgrundlagen zu verstehen (Hamm FamRZ 15, 1732: 9 Jahre altes Mädchen; ähnlich Ddorf FamRZ 09, 1685: 3 Jahre und 4 Monate alte Kinder). Nach Kobl (FamRZ 16, 1093) soll die Anhörung eines 4 Jahre alten Kindes, das seinen Vater nicht kennt, in einem Verfahren wegen Regelung des Umgangs entbehrlich sein. Hängt die Anerkennung einer ausländischen Adoptionsentscheidung lediglich von rechtlichen Erwägungen hinsichtlich der Verfahrensgestaltung ab, die durch einen persönlichen Eindruck des Kindes nicht beeinflusst werden, kann die Anhörung entbehrlich sein (Frankf FamRZ 19, 1073). Dementsprechend kann im Verfahren nach § 1686a BGB die Anhörung eines Kindes ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn der Antrag (ausschließlich) als unzulässig oder wegen fehlenden ernsthaften Interesses zurückzuweisen ist oder wenn die Abstammungsuntersuchung ergibt, dass der ASt nicht der biologische Vater ist (BGH FuR 17, 23; Hammer FamRB 15, 14). Die Anhörung eines Vorschulkindes kann entbehrlich sein, wenn die Eltern über die Gestaltung des Umgangs einig sind und lediglich Marginale Differenzen hinsichtlich der Umgangszeiten bestehen oder aber der Streit Fragen der Sicherheit betrifft (welcher Kindersitz; Anbringen eines Kinderschutzes an der Treppe usw).
Rn 19
Eine persönliche Anhörung des Kindes muss auch erfolgen, wenn es aus anderen Gründen, insb zur Feststellung des Sachverhalts angezeigt erscheint, dass sich das Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind verschafft (§ 50b FGG aF). Der Gesetzgeber hatte hier vermögensrechtliche Angelegenheiten im Blick (BTDrs 16/6308, 240); diese können aber nach der in Abs 1 S 2 enthaltenen Wertung des Gesetzes eine persönliche Anhörung (erst recht jüngerer Kinder) entbehrlich machen. Das OLG Schleswig (FuR 13, 290) hat eine Pflicht zur Anhörung aus sonstigen Gründen in einem Verfahren zur Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes zur Prüfung der Aussagebereitschaft des Kindes für erforderlich gehalten; der BGH (FamRZ 20, 1197) hat hier eine Ausn von der Anhörungspflicht zugelassen (vgl auch Prütting/Helms/Hammer § 159 Rz 23 mwN). Darüber hinaus kann die Anhörung ›aus sonstigen Gründen‹ geboten sein, um beurteilen zu können, ob das Kind zu einer Äußerung seines Willens und seiner Neigungen iSv Alt 1 in der Lage ist (MüKoFamFG/Schumann § 159 Rz 5; FAKomm-FamR/Ziegler § 159 Rz 8; Sternal/Schäder § 159 Rz 17).