1. Altersunabhängige Anhörungspflicht.
Rn 3e
Abs 1 verpflichtet das Gericht, das Kind in allen Kindschaftssachen unabhängig von seinem Alter persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen. Die bisherige Unterscheidung nach der Altersgrenze von 14 Jahren wird nicht länger beibehalten.
Rn 4
Dies beruhte auf der Erwägung, dass das materielle Recht dem Gedanken der zunehmenden Selbstverantwortung eines heranwachsenden Kindes in verschiedenen Vorschriften (zB §§ 1626 II 1, 1617c I 2, 1671 I 2 Nr 1; II 2 Nr 1 BGB) Rechnung getragen und das Verfahrensrecht hieraus für die Anhörung des Kindes Konsequenzen zu ziehen hat (Keidel/Engelhardt (20. Aufl) § 159 Rz 4 mwN; Prütting/Helms/Hammer § 159 Rz 2; BVerfG FamRZ 08, 1737). Die Anknüpfung an die Vollendung des 14. Lebensjahres und damit an die beschränkte Geschäftsfähigkeit stimmte zudem mit den Regelungen der §§ 9 I Nr 3, 60, und 167 III überein, die einem Kind unter den gleichen Voraussetzungen für das Verfahren bzw für die Beschwerdeinstanz eine eigenständige Verfahrensfähigkeit zuerkennen (Keidel/Engelhardt (20. Aufl) § 159 Rz 6; Karlsr FamRZ 16, 567). Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass die Unterscheidung nach dem Kindesalter, soweit sie sich aus der Beteiligtenstellung (§ 9 I Nr 3) ableitet, für die Anhörung des Kindes weder erforderlich noch sachgerecht sei. Dessen Verstandesreife und seine Fähigkeiten, einen eigenen Willen zu entwickeln und ihn im Verfahren verbal oder gegebenenfalls auch non-verbal zu äußern, seien individuell verschieden und nicht allein vom Alter des Kindes abhängig. Dementsprechend wurde davon abgesehen, eine andere Altersgrenze festzusetzen (BTDrs 19/23707, 56).
Rn 5
Der Gesetzgeber hat auch davon abgesehen, eine Mindestaltersgrenze für die gerichtliche Anhörung eines Kindes festzusetzen. Allerdings kommt die Anhörung eines Kindes nur in Betracht, wenn es nach seinem Alter in der Lage ist, entsprechende Empfindungen zu bilden und erkennbar werden zu lassen (Sternal/Schäder § 159 Rz 15 mwN; MüKoFamFG/Schumann § 159 Rz 5). Nach mittlerweile gefestigter Rspr ist dies regelmäßig ab dem 3. Lebensjahr des Kindes der Fall (BVerfG FamRZ 07, 1078;10, 1622; BGH MDR 92, 608; FuR 16, 176; 19, 103; Zweibr FamRZ 97, 688; FPR 00, 160; Brandbg FamRZ 03, 624; Hamm FamRZ 09, 996 für ein 4 Jahre altes Kind; aA noch Rostock FamRZ 07, 1835: ab 6 Jahre aufwärts; Saarbr FuR 18, 313; Braunschw FamRZ 19, 119; Sternal/Schäder § 159 Rz 15; MüKoFamFG/Schumann § 159 Rz 5; Prütting/Helms/Hammer § 159 Rz 20; ThoPu/Hüßtege (42. Aufl) § 159 Rz 3; FAKomm-FamR/Ziegler § 159 Rz 6; Musielak/Borth/Frank/Frank § 159 Rz 7).
2. Der persönliche Eindruck vom Kind.
Rn 6
Die Neufassung der Vorschrift regelt ausdrücklich, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen hat. Das ist mit der Anhörung eines Kindes eigentlich untrennbar verbunden. Der Gesetzgeber hielt es für sachgerecht, auch diese Erkenntnisquelle – wie bei der Anhörung in Betreuungs- und Unterbringungssachen (§§ 278 I, 319 I) – ausdrücklich im Gesetz zu benennen. Denn gerade auch die Verhaltensbeobachtung des Kindes ist ein wichtiger Teil der Sachverhaltsermittlung und kann für die Frage, ob und welche gerichtliche Regelung dem Kindeswohl am besten entspricht, erheblich sein (BTDrs 19/23707, 56). Allerdings wirkt sich die Neuregelung gerade bei Kindern aus, die nicht in der Lage sind, sich iR einer persönlichen Anhörung zu äußern. Dann muss das Gericht entscheiden, ob das Kind geladen wird, um sich (nur) einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Diese Pflicht gilt ausnahmslos in Verfahren nach den §§ 1666, 1666a BGB, vgl Abs 2 S 3.