1. Pflicht zur Anhörung, Abs 1 S 1.

 

Rn 5

In Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, hat das Gericht das Jugendamt zwingend anzuhören. Von der Anhörung kann nicht abgesehen werden. Das gilt auch dann, wenn zwischen den Eltern Einvernehmen besteht, zB im Fall von § 1671 I 2 Nr 1, II 2 Nr 1 BGB oder aber auch bei einem gem § 156 II gerichtlich zu billigenden Vergleich (Prütting/Helms/Hammer § 162 Rz 6; MüKoFamFG/Schumann § 162 Rz 5).

 

Rn 6

Die Anhörungspflicht bezieht sich auf das örtlich und sachlich zuständige Jugendamt. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 87b I 1 iVm § 86 I–IV SGB VIII und knüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern bzw des allein personensorgeberechtigten Elternteils, hilfsweise an den gewöhnlichen bzw den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes (Abs 4), an. Bei unbegleiteten Minderjährigen ist im Regelfall dessen tatsächlicher Aufenthalt bei Einleitung des Verfahrens maßgebend (Dürbeck FamRZ 18, 553, 558). Gem § 87b II 1 SGB VIII bleibt die einmal begründete Zuständigkeit bis zum Abschluss des Verfahrens bestehen (Saarbr FamRZ 19, 51); dies gilt nach § 86 V SGB VIII nicht für die Zuständigkeit für die Erbringung von Jugendhilfeleistungen. Das (zuständig gebliebene) Jugendamt wird nach einem Umzug eines Elternteils mit dem Kind ggf im Rahmen der Amtshilfe das örtliche Jugendamt einschalten (Prütting/Helms/Hammer § 162 Rz 9; Keidel/Engelhardt (20. Aufl) § 162 Rz 6). Das Gericht sollte die Beteiligung des nun zuständigen Jugendamts allerdings iRd Amtsermittlungspflicht (§ 26) sicherstellen. Die sachliche Zuständigkeit ist in § 85 SGB VIII geregelt; gem § 85 I 1 ist der örtliche Träger zuständig (zur Bestimmung des sachlich zuständigen Jugendamts in Berlin BGH FuR 15, 718; 14, 230).

 

Rn 7

Das Gesetz enthält keine weiteren Vorgaben für die Anhörung des Jugendamts. Sie kann also grds mündlich im Termin oder auch schriftlich erfolgen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich eine Pflicht zur mündlichen Anhörung auch aus anderen Vorschriften ergeben kann, wie zB im frühen Termin nach § 155 II 3 oder auch im Vermittlungsverfahren nach § 165 II 4 (MüKoFamFG/Schumann § 162 Rz 9; Prütting/Helms/Hammer § 162 Rz 10). Erfolgt die Anhörung im Termin, ist das Ergebnis in einem Vermerk nach § 28 IV festzuhalten.

 

Rn 8

Die Anhörung dient in erster Linie der Sachaufklärung, aber zugleich auch der Optimierung der Entscheidungsfindung: Das Jugendamt wird als kompetente Fachbehörde gehört. Es hat eigenständig die erforderlichen Ermittlungen anzustellen, die ermittelten Tatsachen dem Gericht mitzuteilen und aufgrund seiner besonderen Erfahrung alle für das konkrete Verfahren maßgebenden Aspekte zur Geltung zu bringen. Nach Möglichkeit soll es dem Gericht einen bestimmten Entscheidungsvorschlag unterbreiten (Keidel/Engelhardt (20. Aufl) § 162 Rz 2; Stuttg FamRZ 06, 1857; ähn MüKoFamFG/Schumann § 162 Rz 6).

2. Nachholung der Anhörung bei Gefahr im Verzug, Abs 1 S 2.

 

Rn 9

Die Regelung entspricht § 159 III 2 bzw. § 160 IV. Eine Anhörung erfüllt nur dann ihren Zweck, wenn sie vor Erlass der Entscheidung erfolgt. Dementsprechend regelt Abs 1 S 2, dass (nur) bei Gefahr im Verzug zunächst von einer Anhörung abgesehen werden kann, diese aber unverzüglich nachgeholt werden muss. Gefahr im Verzug liegt dann vor, wenn durch die aufgrund der Anhörung zu erwartende Verzögerung der gerichtlichen Entscheidung ein erheblicher Nachteil für das Kind oder einen anderen Beteiligten entstehen könnte. Von der Anhörung des Jugendamts kann nur dann abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung ohne Jugendamtsanhörung unumgänglich war. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn das Jugendamt weder telefonisch, per E-Mail und per Fax zu erreichen ist und deshalb nicht zu einer sofortigen Stellungnahme aufgefordert werden kann (Frankf JAmt 10, 567; FAKomm-FamR/Ziegler § 162 Rz 7; Prütting/Helms/Hammer § 162 Rz 13). Sieht das Gericht zunächst von der Anhörung ab, sollten die Gründe der Entscheidung hierzu Ausführungen enthalten; dies gilt umso mehr, wenn eine abweichende Auffassung des Jugendamts aus einem Parallelverfahren bekannt ist (Frankf JAmt 10, 567).

 

Rn 10

Die zunächst unterbliebene Anhörung ist unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, nachzuholen (MüKoFamFG/Schumann § 162 Rz 12). Die getroffene (Eil-)Entscheidung muss aufgrund des Ergebnisses der nachgeholten Anhörung überprüft und ggf gem § 54 I abgeändert werden.

3. Folgen der unterbliebenen Anhörung.

 

Rn 11

Unterlässt das Familiengericht die notwendige Anhörung des Jugendamtes oder hört es ein unzuständiges Jugendamt an, so stellt dies einen schweren Verfahrensmangel dar, der bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 69 I 2, 3 zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung an das AG führen kann (Frankf FamRZ 17, 244; Köln FamRZ 95, 1593; Prütting/Helms/Hammer § 162 Rz 17; MüKoFamFG/Schumann § 162 Rz 13). Das gilt auch dann, wenn aufgrund einer Fehlinformation ein örtlich unzuständiges Jugendamt angehört wurde (Frankf FamRZ 17, 244). (Nur) Das Beschwerdegericht kann als weitere Tatsacheninstanz aber die unterbliebene Anhörung nachholen, insb, wenn dies zur Beschleunigung des Verfahren...

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