Gesetzestext
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.
(2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte.
A. Normzweck und Anwendungsbereich.
Rn 1
Abs 1 beinhaltet den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung und damit ein Kernstück des Beweisrechts. Die freie richterliche Beweiswürdigung gilt in allen Verfahrensordnungen unabhängig von den jeweils geltenden Verfahrensgrundsätzen. Mit dem subjektiven Maßstab der freien Würdigung durch den Richter wird zugleich anerkannt, dass es im Prozess die Ermittlung der objektiven Wahrheit nicht gibt.
Rn 2
§ 37 I gilt in allen Verfahren der fG, also in Amtsverfahren ebenso wie in Antragsverfahren. Die Norm gilt für den Strengbeweis ebenso wie für den Freibeweis. Sie findet keine Anwendung in Ehe- und Familienstreitsachen (§ 113 I).
B. Freie Beweiswürdigung (Abs 1).
Rn 3
Beweiswürdigung ist das Verfahren zur richterlichen Prüfung, ob ein Beweis gelungen ist. Kern dieses Grundsatzes ist also ein innerer Vorgang mit dem Ziel, dass der Richter sich eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen verschafft. Grundlage dieser Würdigung ist der gesamte Inhalt des Verfahrens, also alle schriftlichen und mündlichen Vorgänge sowie alle Beweisführungen. Die subjektive Würdigung durch den Richter bedeutet nicht, dass es sich dabei um ein rein subjektives Meinen oder Glauben des Richters handelt. Bei seiner eigenen Wahrnehmung (Augenschein, Urkunde) und bei der Übernahme fremder Wahrnehmungen (Zeuge), schließlich bei der Übernahme fremder Fachkunde (durch Sachverständige), ist der Richter insoweit an objektive Vorgaben gebunden, als er die Denkgesetze, die zwingenden Erfahrungsgesetze sowie die Naturgesetze beachten muss. § 37 I verlangt also eine vernünftige, sachgemäße und prozessordnungsgemäße Beweiswürdigung.
Rn 4
Mit dem Grundsatz der Freiheit der Beweiswürdigung wird zum Ausdruck gebracht, dass der Richter nicht an gesetzliche Beweisregeln gebunden ist. Der Richter unterliegt also keinem Zwang, welche Beweismittel er im Rahmen seiner Amtsermittlung und seiner freien Beweiswürdigung heranzieht. Er ist frei, die verschiedenen Beweismittel gegeneinander abzuwägen. Er ist im konkreten Fall nicht an einen bestimmten Beweiswert gebunden. Er darf bei der Würdigung des Anhörungsergebnisses einer Person glauben (BGH FamRZ 18, 280). Auch ein Zeuge vom Hörensagen ist ein zulässiges Beweismittel, das der Richter in seine Würdigung einbeziehen darf (BGH FamRZ 18, 930). Nach dem Wortlaut der Norm ist Ziel der Würdigung die Überzeugung des Gerichts. Die Anforderung an die richterliche Überzeugung, also das sog Beweismaß, ist vom Vorgang der richterlichen Würdigung als solcher zu trennen. Die richterliche Überzeugung verlangt nicht eine absolute persönliche Gewissheit. Mit einer nur überwiegenden Wahrscheinlichkeit darf sich der Richter andererseits nicht begnügen. Er muss vielmehr die volle Überzeugung erlangen, dass die streitige Tatsachenbehauptung für wahr zu erachten ist. Er darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 70, 946 – Fall Anastasia).
C. Beweislast.
Rn 5
Es ist zwischen subjektiver und objektiver Beweislast zu trennen. Die subjektive Beweislast ist die den Beteiligten obliegende echte Last, durch eigenes Tätigwerden den Beweis streitiger Tatsachenbehauptungen zu führen, um einen Prozessverlust zu vermeiden. Eine solche subjektive Beweislast kann es nur in einem Verfahren mit Verhandlungsmaxime geben. Im Rahmen der fG gilt aber gem § 26 der Amtsermittlungsgrundsatz. Dieser schließt die Existenz einer subjektiven Beweislast ebenso wie einer Behauptungslast aus.
Rn 6
Die objektive Beweislast gibt dem Richter Antwort auf die Frage, zu wessen Nachteil im Falle einer endgültigen Unklarheit (non liquet) die Entscheidung zu fällen ist. Die objektive Beweislast ist also keine Last im technischen Sinn, denn der Begriff der Last setzt immer ein Handeln der Parteien voraus. Eine Regelung der objektiven Beweislast muss es zwingend in jedem Verfahren geben, da niemals auszuschließen ist, dass trotz aller Bemühungen von Gericht und Beteiligten letztlich über eine entscheidungserhebliche Tatsachenbehauptung eine endgültige Unklarheit verbleibt. Die dann erforderliche Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast ist somit eine besondere Form gesetzlicher Risikoverteilung.
Rn 7
Es ist heute anerkannt, dass die Verteilung der Beweislast abstrakt-generell zu erfolgen hat und auf einer normativen Entscheidung beruht. Die Beweislastverteilung ist also ein Akt gesetzgeberischer Entscheidung und nicht eine beliebig veränderbare richterliche Entscheidung des Einzelfalles. In manchen Fällen enthält das Gesetz ausdrückliche Beweislastnormen. Darüber hinaus ist heute allg anerkannt, dass auch die gesetzlichen Vermutunge...