I. Strafverfahren.
Rn 5
Die im WÜD gerichtsfrei gestellten Diplomaten, also der Missionschef und das diplomatische Personal der Mission (Art 1e WÜD), genießen uneingeschränkte Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaats (Art 31 I 1 WÜD), die auch Bußgeldverfahren umfasst (§ 46 I OWiG). Die Immunität verbietet nicht nur Einl und ggf Fortsetzung eines Strafverfahrens (Nr 193 I RiStBV), sondern bereits polizeiliche, staatsanwaltschaftliche oder richterliche Untersuchungshandlungen. Der begünstigte Personenkreis ist auch von der Zeugenpflicht befreit (Art 31 II WÜD); insoweit bedarf schon die Wirksamkeit der Ladung ihrer Zustimmung (BVerwG NJW 89, 678). Für Zustellungen (§ 185 Nr 4 ZPO), Ladungen bzw Vernehmungen sind Sonderregeln zu beachten (zum Strafverfahren Nr 196–198 RiStBV); Vorbehalte hinsichtlich besonderes gravierender Straftaten bestehen nicht. Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Betreffende in amtlicher Eigenschaft in Deutschland aufhält. So hat der BGH bspw einen bei der US-amerikanischen Botschaft in Caracas/Venezuela eingesetzten Sergeant der US-amerikanischen Armee und Inhaber eines ›Diplomatic Passport‹, der im Urlaub nach Amsterdam geflogen war und Betäubungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland transportiert hatte, als nicht von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit angesehen und ihm auch sonst keine Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung wegen dieser Tat zugebilligt (BGH NStZ 04, 402). Einen Sonderfall bildet die dienstlich veranlasste Durchreise des Diplomaten durch das Hoheitsgebiet eines Drittstaats (Art 40 I WÜD).
II. Zivil- und Verwaltungsprozess.
Rn 6
Hinsichtlich der Immunität der Diplomaten von der Zivilgerichtsbarkeit (§§ 173 VwGO, 18 GVG) sieht Art 31 I 2 WÜD drei Ausn vor. Das Nichtbestehen der deutschen Gerichtsbarkeit – auch in Ansehung von Vollstreckungsmaßnahmen (Art 31 III WÜD) – umfasst danach in gegenständlicher Hinsicht ausnahmsweise erstens nicht dingliche Klagen, die sich auf privates unbewegliches Vermögen im Empfangsstaat beziehen, wenn nicht der Besitz im Auftrag des Entsendestaats für Zwecke der Mission ausgeübt wird. Die Immunität gilt zweitens nicht für bestimmte Nachlassklagen und zum dritten nicht für die Ausübung statusunabhängiger freiberuflicher oder gewerblicher Tätigkeit des Diplomaten im Empfangsstaat (dazu Art 42 WÜB). Für die Verwaltungsgerichtsbarkeit gelten dieselben Grundsätze (Art 31 I 2 WÜD). In dem Zusammenhang finden sich auch materiell-rechtliche Ausschlussregeln für die von den §§ 18 bis 20 GVG erfassten Personen, insb im insoweit grds nicht anwendbaren Aufenthaltsrecht (§ 1 II Nr 2 AufenthG). Die sich insb für den Zivilprozess aus der Immunität ergebende Beschränkung des Justizgewährungsanspruchs des Rechtsstreitgegners rechtfertigt sich aus dem übergeordneten Anliegen der Sicherstellung eines reibungslosen Funktionierens zwischenstaatlicher Diplomatie. Deswegen ist die Immunität des Diplomaten von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats nicht von der Schwere der gegen den Diplomaten im Einzelfall erhobenen Vorwürfe abhängig (LAG Bln ArbuR 11, 507, dauerhafte Misshandlung von Hausangestellten; ausdr offengelassen in der das Urt wegen nachträglichen Wegfalls der Immunität aufhebenden Revisionsentscheidung BAG NZA 13, 343 [BAG 22.08.2012 - 5 AZR 949/11]).
III. Andere deutsche Gerichtsbarkeiten.
Rn 7
Für die im Abk nicht erwähnten Sozial- und Finanzgerichte ist aufgrund der Verweise in den Prozessordnungen auf das GVG von einer entspr Anwendbarkeit auszugehen. Denkbar sind in dem Zusammenhang indes wegen der aktiven Prozessrolle wiederum problemlose Rechtsbehelfe auf Gewährung öffentlicher Sozialleistungen (BVerwG NJW 96, 2744; OVG Münster NJW 92, 2043 [OVG Nordrhein-Westfalen 11.02.1992 - 8 B 536/92], damals zum Verwaltungsrechtsweg) oder sonstige eigene Rechtsschutzersuchen eines Diplomaten (vgl allg Rn 11).