Rn 11

Zwingende Voraussetzung für eine Entschädigung ist die Verzögerungsrüge nach Abs 3 S 1. Dabei handelt es sich um eine haftungsbegründende Obliegenheit (BGH 17.7.14 – III ZR 228/13, NJW 14, 2588). Die Vorschrift stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge, sondern verlangt lediglich, dass die Dauer des Verfahrens beanstandet wird (BGH 26.11.20 – III ZR 61/20, NJW 21, 859). Die Rüge ist bei dem Gericht zu erheben, bei dem das Verfahren anhängig ist. Ihr kommt eine Warnfunktion zu. Die Rüge ist nur wirksam, wenn Anlass zu ihrer Erhebung besteht; anderenfalls kann sie keine Entschädigungsansprüche begründen. Eine späte Rüge kann iRd Gesamtwürdigung als Verursachungsbeitrag zu berücksichtigen sein. Die Untätigkeitsbeschwerde ist seit Einführung der Verzögerungsrüge nicht mehr statthaft (BGH 20.11.12 VIII ZB 49/12).

 

Rn 12

An die Substantiierung der Rüge bestehen keine besonderen Anforderungen, jedoch müssen nach Abs 3 S 4 Umstände vorgetragen werden, die für die Bewertung der Verzögerung von Bedeutung sind, etwa wenn besondere Nachteile drohen. Fehlt ein solcher Hinweis, bleiben im Entschädigungsprozess diese Umstände bei der Einschätzung, ob die Verfahrensdauer unangemessen war, außen vor. Die Rüge ist nach Abs 3 S 5 bei einem anderen Gericht, auch im Instanzenzug, zu wiederholen.

 

Rn 13

Im Entschädigungsprozess kann nach Abs 4 S 1 anstelle einer Entschädigung oder nach Abs 4 S 3 erster Hs als ergänzende Wiedergutmachung festgestellt werden, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Gemäß Abs 4 S 2 zweiter Hs ist dies auch ohne Rüge möglich. Die Feststellung dürfte insbesondere bei substanzlosen Klagen ausreichen. Dem Umstand, dass das Rechtsschutzbegehren des Betroffenen von Anfang an unbegründet war, kann, soweit eine Entschädigung für immaterielle Nachteile geltend gemacht wird, dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Geldentschädigung versagt und ggf lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festgestellt wird (BGH 13.4.17 – III ZR 277/16, NJW 17, 2478).

 

Rn 14

An der wirksamen Einleitung eines (Ausgangs-)Gerichtsverfahrens kann es bereits fehlen, wenn dem Ersuchen kein sinnhaftes und ernst zu nehmendes Rechtsschutzbegehren zugrunde liegt. Dies ist insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kl nur allgemeine Ausführungen macht oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war. Substanzlose und offensichtlich aussichtslose Anträge oder Eingaben, durch die die Arbeitskapazität des Gerichts rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen wird, müssen nicht beschieden werden. Die Gerichte müssen es nicht hinnehmen, auf diese Weise bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unverhältnismäßig behindert zu werden (BGH 31.1.19 – III ZA 34/18, MDR 19, 499).

 

Rn 15

Die Entschädigungsklage kann schon vor Abschluss des Ausgangsverfahrens erhoben werden. Durch die Frist in Abs 5 S 1 hat das Gericht aber Gelegenheit, das Verfahren zu beschleunigen und auf die Rüge zu reagieren. Für eine außergerichtliche Geltendmachung gilt die Frist nicht. Abs 5 S 2 enthält eine absolute Ausschlussfrist, die unabhängig von der Kenntnis beginnt. Abs 5 S 3 soll einen Handel mit dem Anspruch verhindern.

 

Rn 16

Die Aufrechnung gegenüber einem Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens mit einer Kostenforderung des Staates aus einem früheren Strafverfahren ist – nach rechtskräftiger Entscheidung über die Entschädigungsklage – grds zulässig (BGH 7.11.19 – III ZR 17/19, MDR 20, 96).

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge