Rn 2c
§ 72a dient dem Zweck, eine effiziente und ressourcensparende Bearbeitung und Entscheidung von Verfahren dadurch zu fördern, dass innerhalb des Gerichts eine häufigere Befassung der entscheidenden Spruchkörper mit den genannten Materien eintritt (RegE BTDrs 19/13828, 22). Da mit der Auslegung des Abs 1 über den gesetzlichen Richter entschieden wird, muss diese sich möglichst nah am Wortlaut und am Willen des Gesetzgebers orientieren (BayObLG NJW 22, 2849 [BayObLG 21.03.2022 - 102 AR 196/21] Rz 23). Nach dem Willen des Gesetzgebers kann auf das Begriffsverständnis in § 348 I 2 Nr 2 ZPO zurückgegriffen werden (vgl BayObLG NZBau 21, 254). Für das OLG gilt der inhaltsgleiche § 119a.
Rn 2d
Die Zuständigkeit der Spezialkammern umfasst nicht nur erstinstanzliche Rechtsstreitigkeiten. Ihnen sind auch die in ihren Bereich fallenden Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte zugewiesen (Zö/Lückemann Rz 2): Abs 3 verweist auf § 71 und § 72; die insolvenz- und restrukturierungsrechtlichen Beschwerden nennt Abs 1 Nr 7 ausdrücklich.
Rn 2e
Eine Sonderzuständigkeit nach Abs 1 setzt eine ›Streitigkeit‹ aus einem der genannten Sachgebiete voraus. Dabei muss es sich um einen Streitgegenstand handeln; die Geltendmachung im Wege der Aufrechnung genügt nicht (Schlesw NJW 22, 82 [OLG Schleswig 01.07.2021 - 2 AR 20/21]; Frankf 20.4.23 – 11 UH 15/23). Maßgeblich ist der Tatsachenvortrag der Klagepartei (BayObLG NJW 22, 2849 [BayObLG 21.03.2022 - 102 AR 196/21] Rz 26; r+s 23, 138 Rz 27). Die Spezialkammer ist auch dann zuständig, wenn ein unter Abs 1 fallender Anspruch erst durch Klageerweiterung oder Widerklage in den Rechtsstreit eingeführt wird. Der Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 III Nr 2 ZPO) steht dem Wechsel der Zuständigkeit nicht entgegen, weil er einen unveränderten Streitgegenstand voraussetzt (KG NJW-RR 21, 62; ZInsO 23, 449). Einer Zuständigkeit nach Abs 1 steht nicht entgegen, dass der Anspruch auf ein (deklaratorisches oder abstraktes) Schuldanerkenntnis gestützt wird (KG NZBau 21, 387 Rz 7 ff). Bei einer Vollstreckungsgegenklage kommt es auf den titulierten Anspruch an (vgl Rostock 19.10.23 – 3 U 113/21). – Soweit die einzelnen Spezialzuständigkeiten (Rn 3 ff) die Beteiligung bestimmter Personenkreise voraussetzen, stehen Zessionare diesen jew gleich (vgl Bambg WM 18, 2243, 2245; Hambg BKR 19, 346 Rz 11 f; Frankf 14.8.19 – 11 SV 28/19; jew zu Abs 1 Nr 1). Entsprechendes muss nach Pfändung und Überweisung des Anspruchs gelten.
Rn 2f
Eine intertemporale Kollisionsregel enthält § 40a EGGVG. § 72a trat am 1.1.18 in Kraft, die Ergänzung um Abs 1 Nr 5–7 und Abs 2 am 1.1.21. Für bis dahin beim LG anhängige Verfahren bleibt es jeweils bei der bisherigen Zuständigkeitsverteilung (BTDrs 19/13828, 23).