Rn 2g
§§ 72a, 119a sind vorrangig gegenüber Zuständigkeitsregelungen im Geschäftsverteilungsplan einschließlich Verbleibensklauseln, die etwa an Fristen oder eine durchgeführte Verhandlung anknüpfen (Schlesw 13.8.19 – 2 AR 20/19 Rz 13 ff). Die spezialisierten Spruchkörper sind auch dann zuständig, wenn in die Spezialisierung fallende Ansprüche neben anderen Ansprüchen geltend gemacht werden, selbst wenn der Schwerpunkt des Rechtsstreits nicht auf der Spezialmaterie liegt (BayObLG NZBau 21, 254; NJW 22, 2849 Rz 41). Eine überlastungsbedingte längere Dauer vor Abgabe des Verfahrens ändert nichts an der Zuständigkeit (BayObLG NJW 22, 2849 [BayObLG 21.03.2022 - 102 AR 196/21] Rz 43). Parteivereinbarungen (vgl §§ 38–40 ZPO) über die Spezialzuständigkeit sind nicht möglich (BayObLG NZBau 21, 254 Rz 29).
Rn 2h
Das Nebeneinander von allgemeinen und spezialisierten Spruchkörpern bringt Fehlzuweisungen und Kompetenzstreitigkeiten mit sich. Eine interne Bestimmung durch das Präsidium (§ 21e Rn 28; vgl BGH NJW 00, 80, 81) scheidet aus, wenn es um eine gesetzlich geregelte Zuständigkeit geht (BGHZ 234, 259 Rz 18, 20; Fölsch NJW 20, 801, 803). Anders als für die Beziehung von KfH und allgemeiner Zivilkammer fehlt eine gesetzliche Regelung zur Verweisung. Die planwidrige Gesetzeslücke ist durch entspr Anwendung von § 281 II 2 und 4 ZPO zu schließen (BGHZ 234, 259 = NJW 22, 2936 Rz 54 mit abl Anm Vossler; anders noch KG NJW-RR 21, 644, 646). Wenn bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Spruchkörpern desselben Gerichts die Zuständigkeit zumindest eines beteiligten Spruchkörpers auf einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung (wie §§ 72a, 119a) beruht und die Entscheidung des Konflikts von deren Reichweite abhängt und nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, muss ein Spruchkörper, der deshalb seine Zuständigkeit verneint, dies vAw nach Anhörung der Parteien durch begründeten Beschluss aussprechen und die Sache dem nach seiner Auffassung zuständigen Spruchkörper zur Übernahme vorlegen. Der Beschluss ist entspr § 281 II 2 ZPO unanfechtbar; § 17a VI gilt nicht analog (BGHZ 234, 259 Rz 57). Entspr § 281 II 4 ZPO ist die Entscheidung für den zweiten Spruchkörper bindend. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als iRd § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa deshalb, weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGHZ 234, 259 Rz 40; § 281 ZPO Rn 42 ff). Nur unter dieser Voraussetzung darf und muss der dann nicht gebundene zweite Spruchkörper vAw seine Zuständigkeit selbst prüfen. Streitig ist, ob er – wiederum nach Anhörung der Parteien – die Sache zurück- oder weiterverweisen darf (vgl BayObLG 2.12.21 – 101 AR 163/21 Rz 26 mwN).
Rn 2i
Erklären sich auf diese Weise – oder sonst durch den Parteien bekannt gemachte Entscheidungen – in einem Kompetenzkonflikt über eine gesetzliche Zuständigkeitsregelung mehrere Spruchkörper für unzuständig, ist der zuständige Spruchkörper in analoger Anwendung von § 36 I Nr 6 ZPO zu bestimmen (BGHZ 234, 259 Rz 18; vgl München r+s 19, 358; KG NJ 21, 459 [KG Berlin 30.08.2021 - 2 AR 38/21]). Falls der erste Spruchkörper eine Rückverweisung durch den zweiten für nicht bindend hält (Rn 2h) und weiter seine Zuständigkeit verneint, wird er den negativen Kompetenzkonflikt dem nach § 36 ZPO berufenen Gericht (§ 36 ZPO Rn 18) zur Entscheidung vorlegen. Das ist das OLG; über einen Kompetenzkonflikt zwischen Senaten eines bayerischen OLG entscheidet jedoch gem § 9 EGZPO das BayObLG (vgl BayObLG 15.5.19 – 1 AR 35/19 Rz 9). Als zuständig ist grds der Spruchkörper zu bestimmen, an den die Sache zuerst bindend verwiesen worden ist (BGHZ 234, 259 Rz 39 f). – Ausnahmsweise kann auch ein nicht am Zuständigkeitsstreit beteiligter Spruchkörper als zuständig bestimmt werden (vgl München NJW-RR 20, 967 [OLG München 13.07.2020 - 34 AR 70/20] Rz 47). Wären für Streitgenossen verschiedene Spezialkammern zuständig, kommt eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung entspr § 36 I Nr 3 ZPO in Betracht (München 16.9.20 – 34 AR 128/20).
Rn 2j
Geht eine Kammer fälschlich davon aus, zuständig zu sein, und entscheidet sie in der Sache, so kann die Berufung nicht allein auf diesen Umstand gestützt werden; das folgt aus § 513 II ZPO (Stuttg 21.10.09 – 3 U 64/09 Rz 19; Frankf WRP 19, 99 [OLG Frankfurt am Main 26.09.2018 - 6 U 49/18] Rz 9; Klose MDR 17, 793, 795 aE). Dies soll nicht gelten bei Entziehung des gesetzlichen Richters (Karlsr NJW-RR 13, 437, 439 zum GVP; aA § 513 ZPO Rn 16), was der BGH bisher offengelassen hat (BGH NJW-RR 15, 941 [BGH 17.03.2015 - VI ZR 11/14] Rz 19 zur örtl Zuständigkeit; 23, 1502 Rz 6). Für Revision und NZB führt eine entspr Anwendung der Vorschrift zum selben Ergebnis (BGH NJW 05, 1660 [BGH 22.02.2005 - KZR 28/03]).