Rn 1

Die neue VO (Überblick bei Erb-Klünemann/Niethammer-Jürgens FamRB 19, 454; Finger FuR 19, 640; Schulz FamRZ 20, 1141; Gruber/Möller IPRax 20, 393; Brosch GPR 20, 179; Gerber/Lugani NJW 22, 2225; Flindt NZFam 22, 669; Hüßtege FamRZ 22, 1591) beinhaltet statt vormals 72 Art der vormaligen Brüssel IIa-VO nunmehr 105 Art. Die Zahl der Anhänge hat sich fast verdoppelt, nunmehr finden sich in der VO zehn Anhänge. Die VO ist seit dem 22.7.19 in Kraft (Art 105 II). Die im ABl veröffentlichte VO enthält bislang zahlreiche Rechtschreib- und Grammatikfehler sowie Falschverweisungen (iE Hüßtege FamRZ 22, 1591). Die VO ist allerdings nur auf am oder nach dem 1.8.22 eingeleitete gerichtliche Verfahren, förmlich errichtete oder eingetragene öffentliche Urkunden und eingetragene Vereinbarungen anzuwenden (Art 100 I). Eine Gerichtsstandsvereinbarung sieht die neue VO weiterhin nicht vor (näher Hüßtege FamRZ 22, 1591 [1592]). Eine Einleitung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens bei einer nationalen Schlichtungsbehörde führt dagegen bereits zur Einleitung des Verfahrens (Erw 35). Mit der Neufassung des Gesetzes des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes v 10.8.21 (IntFamRVG, BGBl I, 3424; zum neuen IntFamRVG Klinkhammer FamRZ 22, 325) hat der nationale Gesetzgeber die erforderlichen begleitenden Durchführungsbestimmungen zur neuen VO geschaffen. Die Übergangsvorschrift findet sich in § 55 IntFamRVG.

 

Rn 2

Die VO bezweckt eine Stärkung der Rechtssicherheit, Erhöhung der Flexibilität, die Verbesserung des Zugangs zu Gerichtsverfahren und die Gewährleistung effizienterer Verfahren (Erw 2). Neben der Beschleunigung und weiteren Präzisierung des Kindesrückgabeverfahrens bei einer internationalen Kindesentführung einschließlich der Möglichkeit alternativer Streitbeilegungsverfahren (Art 22–29) werden die Rechte des Kindes gestärkt (Art 21, Recht auf eigene Meinungsäußerung). Weiterhin ist eine zügige Vollstreckung durch Abschaffung des Exequaturverfahrens vorgesehen (Art 34 ff).

 

Rn 3

Die Art 3–20 der VO befassen sich mit der internationalen Zuständigkeit. Dabei enthalten die Art 3–6 die Zuständigkeitsvorschriften in Ehesachen und die Art 7–14 diejenigen in Angelegenheiten betr die elterliche Verantwortung. Die Art 15–20 enthalten gemeinsame Bestimmungen für beide Verfahrensgegenstände. Das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens vAw zu prüfen (BGH FamRZ 20, 1171; 19, 1543; 15, 479); § 65 IV FamFG greift insoweit nicht (BGH FamRZ 20, 918; Hamm FamRZ 12, 143). Art 21 beinhaltet das Recht des Kindes auf seine Meinungsäußerung.

Die Art 22–29 enthalten ergänzende Vorschriften bei einer internationalen Kindesentführung. Die Art 30–63 betreffen die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Angelegenheiten der sog elterlichen Verantwortung, ergänzt durch die Art 69–75, wobei die Art 64–68 Bestimmungen zu öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen enthalten. In den Art 76–84 finden sich Vorschriften zur Zusammenarbeit der Zentralen Behörden in Verfahren betr die elterliche Verantwortung und in Art 85–93 weitere Bestimmungen. Die Art 94–99 regeln das Verhältnis der VO zu anderen internationalen Rechtsinstrumenten. Die Art 100–105 enthalten die Schlussbestimmungen.

 

Rn 4

Eine Arbeitshilfe bei der Bearbeitung grenzüberschreitender Fälle unter Anwendung der Brüssel IIb-VO ist der Leitfaden, den die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Justiziellen Netz für Zivil- und Handelssachen (EJN) erarbeitet hat. Der Leitfaden ist unter https://e-justice.europa.eu/fileDownload.do?id=a1221dad-7be4-4779-9da5-310c92adbf7a abrufbar (derzeit nur in der englischen Fassung).

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