Gesetzestext
(1) Die Gerichte eines Mitgliedstaats sind zuständig für Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung, wenn
a) |
eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil
i) |
mindestens einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; |
ii) |
das Kind in diesem Mitgliedstaat früher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte; oder |
iii) |
das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt; |
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b) |
die Parteien sowie alle anderen Träger der elterlichen Verantwortung
i) |
spätestens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit frei vereinbart haben; oder |
ii) |
die Zuständigkeit im Laufe des Verfahrens ausdrücklich anerkannt haben und das Gericht dafür Sorge getragen hat, dass alle Parteien von ihrem Recht, die Zuständigkeit des Gerichts anzufechten, in Kenntnis gesetzt wurden; und |
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c) |
die Wahrnehmung der Zuständigkeit im Einklang mit dem Kindeswohl steht. |
(2) Eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Absatz 1 Buchstabe b wird von den betreffenden Parteien schriftlich niedergelegt, datiert und unterzeichnet oder gemäß den nationalen Rechtsvorschriften und Verfahren in das Gerichtsprotokoll aufgenommen. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt.
Personen, die nach der Anrufung des Gerichts Verfahrensparteien werden, können ihre Zustimmung nach Anrufung des Gerichts bekunden. Widersprechen sie nicht, wird ihr Einverständnis als stillschweigend gegeben angenommen.
(3) Sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren, endet die Zuständigkeit gemäß Absatz 1, sobald
a) |
gegen die in diesem Verfahren ergangene Entscheidung kein ordentlicher Rechtsbehelf mehr eingelegt werden kann oder |
b) |
das Verfahren aus einem anderen Grund beendet wurde. |
(4) Die Zuständigkeit gemäß Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii ist ausschließlich.
Rn 1
Diese Vorschrift regelt neben Art 8 und Art 9 die letzte – wegen Art 7 II vorrangige – Ausnahme von Art 7 I. Art 10 sieht eine Gerichtsstandsvereinbarung innerhalb der Mitgliedstaaten, nicht aber gegenüber einem KSÜ-Vertragsstaat, vor (Reuß in Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens, Europa als Taktgeber für das Internationale Familienrecht, 2022, S 33, 38). Die allgemeine Regelung über eine Gerichtsstandsvereinbarung macht die Unterscheidung zwischen Verfahren mit oder ohne anhängigem Scheidungsverfahren entbehrlich. Während eines laufenden HKÜ-Verfahrens ermöglicht Art 10 va die Anerkennung der internationalen Zuständigkeit des HKÜ-Gerichts auch für Sorge- und Umgangsregelungen, für die es international nicht zuständig ist, mit ausschließlicher Wirkung (vgl Art 10 IV). Durch diese Regelung soll dem Bedürfnis der Praxis nach flexiblen Lösungsmöglichkeiten hinreichend Rechnung getragen werden. Die Parteien können auch ohne ein laufendes HKÜ-Verfahren ein international unzuständiges Gericht als zuständig bestimmen.
Sofern kein Fall der §§ 10, 12 IntFamRVG vorliegt, ist das als örtlich zuständig bestimmte Gericht (ausschließlich) international zuständig.
Rn 1a
Die Vereinbarung setzt nach wie vor eine wesentliche Bindung des Kindes zu dem jeweiligen Mitgliedstaat voraus (Art 10 I lit a sublit i-iii). Allerdings ist eine besondere Bindung des Kindes an den an sich unzuständigen Gerichtsstaat nicht mehr von abschließend aufgeführten Umständen abhängig. Das ergibt sich aus Art 10 I lit a (›insbesondere‹). Nach wie vor muss die Vereinbarung dem Wohl des Kindes entsprechen (Art 10 I lit c; aA insoweit wohl ThoPu/Hüßtege Art 10 Rz 5). Diese Einschränkung ist wichtig, weil das Einverständnis der Eltern nicht unbedingt kindeswohlorientiert sein muss. Es wird hier va darauf ankommen, ob es dem Kind zugemutet werden kann, zu einer persönlichen Anhörung im anderen Staat zu reisen und ob und welche weiteren Belastungen für das Kind dadurch entstehen können, dass das Verfahren nicht an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort (s dazu Art 7 Rn 2) durchgeführt wird. Letzteres wird auch die Sprachenfrage anbetreffen, also ob etwa das Kind mit einem Dolmetscher angehört werden müsste (vgl NK-BGB/Gruber Art 12 Brüssel IIa-VO). Nicht zuletzt kann auch die Frage bedeutsam sein, ob das Ehegericht das soziale Umfeld hinreichend zeitnah wird ermitteln können; regelmäßig wird das im Aufenthaltsstaat des Kindes einfacher sein. Im Regelfall wird allerdings eine ausdrückliche Vereinbarung den Interessen des Kindes gerecht werden (vgl Ddorf FamRZ 10, 915).
Rn 2
Eine rügelose Einlassung ist nicht mehr möglich (vgl allerdings EuGH FamRZ 18, 1015 = ECLI:EU:C:2018:265 zur vormaligen Brüssel IIa-VO). Art 10 I lit b Nr ii Brüssel IIb-VO eröffnet im Gegensatz zu Art 12 Brüssel IIa-VO nunmehr die Möglichkeit, die Zuständigkeit während des laufenden Verfahrens nach Belehrung durch das Gericht ausdrücklich anzuerkennen. Dies ist va für HKÜ-Verfahren bedeutsam. Auch eine Gerichtsstandsvereinbarung ist für alle künftigen Rechtsstreitigkeiten möglich (Art 10 ...