Gesetzestext
(1) Lässt sich ein Antragsgegner, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in dem Mitgliedstaat hat, in dem das Verfahren eingeleitet wurde, auf das Verfahren nicht ein, so hat das zuständige Gericht das Verfahren so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Antragsgegner möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte, oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden.
(2) Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 findet statt Absatz 1 Anwendung, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe jener Verordnung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu übermitteln war.
(3) Ist die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 nicht anwendbar, so gilt Artikel 15 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach Maßgabe des genannten Übereinkommens ins Ausland zu übermitteln war.
Rn 1
Diese Vorschrift dient der Sicherstellung des rechtlichen Gehörs des Antragsgegners und damit der Verhinderung des Entstehens eines Anerkennungshindernisses nach Art 38 (Ehesache) bzw Art 39 (elterliche Verantwortung). Abs 1 wird von den vorrangigen Abs 2 und 3 verdrängt. Seit dem 1.7.22 gilt dabei die neue EuZustVO (VO [EU] 2020/1784 v 25.11.20), die statt der VO (EG) 1393/2007 (Abs 2!) anzuwenden ist (Art 36 II EuZVO). Die neue EuZustVO gilt auch für Dänemark (Mansel/Thorn/Wagner IPRax 21, 105, 116). Abs 3 verweist auf Art 15 des Haager Zustellungsübereinkommens (HZÜ).
Rn 2
Bei unbekanntem Aufenthalt des Antragsgegners finden weder die EuZustVO noch Art 15 HZÜ Anwendung (EuGH IPRax 13, 341). Art 7 EuZustVO 20 ermöglicht eine Hilfestellung bei der Ermittlung von Anschriften (Knöfel RIW 20, 473, 477). Art 19 I lässt die Fortsetzung des Verfahrens zu. Allerdings hat sich das Gericht eingehend zu vergewissern, dass sorgfältigste Maßnahmen hinsichtlich des Verbleibs des Antragsgegners getroffen worden sind (EuGH IPRax 13, 341 [EuGH 15.03.2012 - Rs. C-292/10]).
Rn 3
Den vier Zustellungsmethoden der EuZustVO 2007/20 (Übermittlung zwischen Übermittlungs- und Empfangsstellen, Zustellung durch Postdienste per Einschreiben mit Rückschein, Zustellung durch diplomatische oder konsularische Bedienstete sowie unmittelbare Parteizustellung) fügt die EuZustVO 2020 die elektronische Zustellung in Art 19 als fünfte hinzu, um eine schnellere und zuverlässige Zustellung zu ermöglichen (näher Gottwald MDR 22, 1185, 1187).
Rn 4
Einlassung iSd Abs 1 ist jede Äußerung des Antragsgegners – oder seines Bevollmächtigten – zu dem Antrag, sei sie zur Sache, sei sie zur Zulässigkeit (vgl auch Zweibr FamRZ 15, 2063). Hiervon ausgenommen ist freilich die Einlassung gerade mit der Rüge, es sei gegen Art 19 verstoßen worden (Staud/Hau, BGB (2023) Brüssel IIb-VO Art 19 Rz 11; NK-BGB/Gruber Art 18 Brüssel IIa-VO Rz 2 mwN). Gleichwertiges Schriftstück ist ein solches, das eine wesentliche Änderung oder Erweiterung des Streitgegenstandes beinhaltet (vgl NK-BGB/Gruber Art 18 Brüssel IIa-VO Rz 4).
Rn 5
Im Falle der Nichteinlassung (dazu Art 22 EuZustVO; eingehend Staud/Hau, BGB (2023) Brüssel IIb-VO Art 19 Rz 14 ff) muss das Gericht amtswegig prüfen, ob der Antragsgegner die Gelegenheit und genügend Zeit hatte, sich zu verteidigen (vgl Zweibr FamRZ 15, 2063; zur effektiven Verteidigungsfähigkeit BGH FamRZ 06, 198). Fehlt es an einem dieser beiden Erfordernisse – insb an der ordnungsgemäßen Zustellung – hat das Gericht das Verfahren – jedenfalls nicht zwingend förmlich (so wohl auch Staud/Spellenberg Art 18 Brüssel IIa-VO Rz 102) – auszusetzen und dem Antragsgegner erforderlichenfalls erneut verfahrensordnungskonforme Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.