Rn 2
Art 30 betrifft die Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen (zu öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen s Art 65). Erfasst sind grds alle Entscheidungen im sachlichen Geltungsbereich der VO. Die Gründe für die Nichtanerkennung sind auf ein Mindestmaß beschränkt. Folge ist für Deutschland ua, dass im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten die §§ 107 ff FamFG nicht anzuwenden sind.
Rn 2a
Die Anerkennung einer Entscheidung erfolgt kraft Gesetzes (Art 30 I). Eine deklaratorische Anerkennung ist nunmehr nicht mehr möglich (Schulz FamRZ 20, 1141, 1146). Eine interessierte Partei kann nur nach Art 30 III die Feststellung des Nichtvorliegens der in den Art 38 und 39 genannten Anerkennungsversagungsgründe beantragen. Art 30 V regelt die inzidente Anerkennung. Die VO überlässt es dem nationalen Recht, ob Versagungsgründe amtswegig oder auf Antrag zu prüfen sind (Schulz FamRZ 20, 1141, 1146).
Rn 2b
Abweisende Entscheidungen können nach wie vor nicht anerkannt werden (zum alten Recht Hausmann Art 2 Brüssel IIa-VO Rz K 29; NK-BGB/Andrae Art 21 Brüssel IIa-VO Rz 6; die Gefahr hinkender Ehen nimmt die VO in Kauf). Freilich bleibt die Möglichkeit einer Anerkennung abweisender Entscheidungen nach anderen – völkerrechtlichen, hilfsweise nationalen (§§ 107 ff FamFG) – Vorschriften unberührt (NK-BGB/Andrae Art 21 Brüssel IIa-VO Rz 7 mwN).
Rn 3
Art 2 I lit b Alt 2 iVm Art 27 V sieht im Gegensatz zur Brüssel IIa-VO nunmehr ausdrücklich die Anerkennung und Vollstreckung einer von einem in der Hauptsache unzuständigen Gericht getroffenen Maßnahme vor.
Rn 4
Art 64 ff der neuen Brüssel IIb-VO ermöglichen explizit die Anerkennung von öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen von Privatscheidungen und in Fragen der elterlichen Verantwortung. Bis zur Entscheidung des EuGH (FamRZ 23, 21 = ECLI:EU:C:2022:879) war unklar, ob eine Privatscheidung innerhalb der Mitgliedstaaten auch auf der Grundlage der Brüssel IIa-VO anerkennungsfähig ist. Nach Ansicht des Gerichtshofs liegt auch dann eine Entscheidung vor, wenn eine Behörde (italienischer Standesbeamter) eine Prüfung der Scheidungsvoraussetzungen bei einer außergerichtlichen Scheidungsvereinbarung – in Abgrenzung zu einem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich, den das Gericht ohne inhaltliche Prüfung lediglich zur Kenntnis nimmt – anhand des nationalen Rechts vornimmt (krit Dimmler FamRB 23, 4, 5; vgl auch BGH FamRZ 23, 1103; Anm Dimmler FamRB 23, 442). Danach ist auch eine spanische Notariatsscheidung als Entscheidung zu qualifizieren (krit Dutta FamRZ 23, 349). Ob die in Frankreich und Griechenland möglichen Vertragsscheidungen aufgrund der Beschränkung einer nur lediglich formalen Überprüfung durch den Notar anders zu beurteilen sind, ist offen (dazu Antomo FF 22, 197, 198 f). Diese Vertragsscheidungen können nur über Art 65 ff anerkannt werden.
Rn 4a
Eine Privatscheidung, die in einem Drittstaat ergangen ist, ist dagegen nicht anzuerkennen (vgl EuGH FamRZ 18, 169 = ECLI:EU:C:2017:988; Anm Dimmler FamRB 18, 91).
Rn 5
Ebenso wie unter der Geltung der Brüssel IIa-VO sieht Art 69 das Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats und Art 71 das Verbot der Nachprüfung in der Sache selbst vor.
Rn 6
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art 30 III, IV iVm §§ 10 S 1 Nr 1, 12 IntFamRVG (FamG am Sitz des OLG).
Rn 7
Die Kostenfolgen eines in Deutschland geführten Feststellungsverfahrens richten sich nach den §§ 44j I 1, 44c II IntFamRVG. Es fallen Gerichtsgebühren iHv 264 EUR an (KV FamGKG Nr 1710), in der Beschwerdeinstanz 396 EUR (KV FamGKG Nr 1720).