Rn 1b
Lit a enthält die Ordre-public-Klausel, nach der ausdrücklich das Wohl des Kindes zu berücksichtigen ist (vgl eingehend BGH FamRZ 15, 1011: Bestellung eines Verfahrensbeistandes ist nicht erforderlich). Da der Verstoß ›offensichtlich‹ sein muss, reicht im Falle einer Sorgerechtsregelung eine nur kindeswohlwidrige Entscheidung nicht aus, es kommt dann nur eine Abänderung der Erstentscheidung durch das zuständige Gericht in Betracht. Eine Anerkennung schiede aber dann aus, wenn das Kindeswohl gar nicht geprüft wurde – sicherlich ein sehr seltener Fall. Auch ein ggf gravierender Verstoß hinsichtlich der angenommenen Zuständigkeit genügt idR nicht (EuGH FamRZ 16, 111; krit Anm Dimmler FamRB 16, 137).
Rn 1c
Lit b (vgl Art 38 Rn 5).
Rn 1d
Lit c sichert darüber hinaus das rechtliche Gehör von Personen, in deren elterliche Verantwortung die Entscheidung eingreift. Gemeint sind Fälle, in denen bspw die elterliche Sorge zwischen Eltern geregelt wird, obwohl diese einem Vormund zusteht.
Rn 1e
Lit d und e regeln den Vorrang von späteren Entscheidungen (nicht nur eingeleiteten Verfahren, Stuttg FamRZ 14, 1567) aus dem Anerkennungsstaat und anzuerkennenden späteren Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten bzw einem Drittstaat, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Posterioritätsgrundsatz, München FamRZ 15, 602). Zu beachten ist in Deutschland, dass die Abänderung einer anerkennungsfähigen ausländischen Sorgerechtsregelung nur unter den engeren Voraussetzungen des § 1696 BGB statthaft ist; sie erfordert also ›triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe‹ (s dazu auch Art 1 Rn 2).
Rn 1f
Lit f erhebt die Einhaltung des für die grenzüberschreitende Unterbringung eines Kindes (Art 82) geltenden Verfahrens zur Anerkennungsvoraussetzung.
Rn 2
Eine Versagung der Anerkennung kann nach Art 39 II erfolgen, sofern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden (vgl Art 21), keine Gelegenheit zur Meinungsäußerung gegeben wurde. Wie und ab welchem Alter die Kindesanhörung zu erfolgen hat, richtet sich allerdings – unter Berücksichtigung des Kindeswohls – nach jeweiligem nationalen Verfahrensrecht (Erw 39). Eine Anerkennungsversagung wegen einer fehlenden richterlichen Anhörung des Kindes hat auszuscheiden, wenn das Kind nach dem Verfahrensrecht eines Mitgliedstaats in anderer Weise hinreichend angehört worden ist (Erw 57 S 2), bspw durch eine Behörde oder einen Sachverständigen. Somit kann die fehlende richterliche Anhörung des Kindes – im Gegensatz zur vormaligen Brüssel IIa-VO – nicht mehr zur Versagung der Anerkennung führen. Überdies ist in Art 39 II lediglich eine Ermessensentscheidung des Gerichts vorgesehen, ob die Anerkennung versagt wird. Bei einem schwerwiegenden Verstoß reduziert sich das Ermessen allerdings ›auf null‹ (Heiderhoff IPRax 23, 333, 338). Schwerwiegende Gründe, insb Dringlichkeit des Falls, können ein Absehen von der Anhörung rechtfertigen (Erw 57 S 4). Die unmittelbare Gefahr für die körperliche und seelische Unversehrtheit oder das Leben des Kindes und das Risiko, dass sich durch jede weitere Verzögerung diese Gefahr realisieren könnte, stellen schwerwiegende Gründe dar (Erw 57 S 5).
Rn 3
Die spezielle Zuständigkeit des AG nach §§ 10, 12 IntFamRVG bleibt erhalten. Für das Verfahren werden über Art 40 I die Art 59–62 und ggf die Art 69 ff maßgebend. Bei privilegierten Entscheidungen nach Art 42 I (Umgang und Rückgabe) gelten die Art 43, 44.