Gesetzestext
Wer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen, die nach den §§ 307 bis 309 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unwirksam sind, verwendet oder für den rechtsgeschäftlichen Verkehr empfiehlt, kann auf Unterlassung und im Fall des Empfehlens auch auf Widerruf in Anspruch genommen werden.
A. Zweck der Vorschrift.
Rn 1
Die Vorschrift dient der Kompensation von Durchsetzungsdefiziten in einem auf individuellen Ansprüchen aufgebauten Privatrechtssystem (s vor UKlaG Rn 2). Insbesondere soll der Rechtsverkehr geschützt und von unwirksamen AGB freigehalten werden (BGHZ 92, 24, 26). Dieses Ziel kann durch bloß individuellen Rechtsschutz kaum erreicht werden, weil sich ein Rechtsunkundiger ggf auch durch unwirksame AGB von der Durchsetzung seiner Rechte abhalten lassen wird (BGH NJW 81, 1511, 1512).
B. Dogmatische Einordnung und Begriff des Anspruchs.
Rn 2
Der Gesetzgeber verwendet hier den Begriff des ›Anspruchs‹, was die hM dazu bewegt, in der Verbandsklagebefugnis einen materiell-rechtlichen Anspruch iSv § 194 BGB zu sehen (Grüneberg/Grüneberg Rz 3 mwN; ebenso zum früheren Recht BGH NJW 95, 1488, 1489). Damit entleert die hM aber den Begriff des Anspruchs, der bisher als Zuweisung einer individuellen und privatautonom disponiblen Rechtsposition verstanden wurde (vgl Raiser JZ 61, 465, 466). Eine solche Dispositionsbefugnis gewährt die Verbandsklage gerade nicht; daher ist auch der Begriff des materiell-rechtlichen Anspruchs unpassend (E. Schmidt ZIP 91, 629; MüKoZPO/Micklitz/Rott Rz 3). Vielmehr handelt es sich um eine eher aktionenrechtlich zu begreifende besondere prozessrechtliche Kontrollkompetenz, die nicht auf einem individuell zugewiesenen subjektiven Recht fußt (Halfmeier 275 ff). Diese Deutung ermöglicht auch ein besseres Verständnis der prozessrechtlichen Besonderheiten, in welchen sich die Verbandsklage von der Durchsetzung individueller Ansprüche unterscheidet (dazu unten § 5 Rn 8 ff).
C. Anwendungsbereich.
I. Allgemeine Geschäftsbedingungen.
Rn 3
Gegenstand der Überprüfung ist die Wirksamkeit einzelner Bestimmungen in AGB iSv § 305 I BGB. Ein Vertragsschluss im rechtlichen Sinne ist nicht erforderlich, sondern es reicht aus, wenn der Text nach dem insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont den Eindruck erweckt, dass vertragliche oder vorvertragliche Rechte oder Pflichten begründet werden sollen (BGH NJW 14, 2269, 2271 [BGH 09.04.2014 - VIII ZR 404/12]), so etwa bei ›Servicebedingungen‹ auf einer Internet-Seite (LG Hamburg VuR 09, 433 [LG Hamburg 07.08.2009 - 324 O 650/08]). Angaben in Werbeprospekten sollen dagegen nicht Vertragsinhalt werden und sind daher keine AGB (BGH NJW 09, 1337 [BGH 04.02.2009 - VIII ZR 32/08]); es kommt für solche Fälle aber ggf eine auf § 2 UKlaG oder § 8 UWG gestützte Verbandsklage in Betracht. Verträge, die vor dem Inkrafttreten des AGBG (1.4.77) geschlossen wurden, unterliegen nicht der Kontrolle durch die Verbandsklage (BGH NJW 97, 1068, 1069 [BGH 09.02.1997 - XI ZR 149/96]).
II. Verstoß gegen §§ 307–309 BGB.
1. Keine Beschränkung auf den Verbraucherschutz.
Rn 4
Kontrolliert werden kann die Wirksamkeit der inkriminierten Klauseln gem §§ 307–309 BGB. Somit ist auch bei Verträgen zwischen Unternehmern (§§ 310 I, 307 BGB) grds die Verbandsklagebefugnis eröffnet (zB BGH NJW-RR 07, 1286 [BGH 18.04.2007 - VIII ZR 117/06]; LG Köln WRP 18, 1394 [LG Köln 11.07.2018 - 26 O 128/17]), jedoch nicht durch alle Verbände (§ 3 II).
2. Einbeziehung von AGB.
Rn 5
Ausweislich des Gesetzestextes soll nur der Inhalt von AGB-Klauseln kontrolliert werden können, nicht dagegen ihre gesetzeskonforme (§§ 305–305c BGB) Einbeziehung in den Vertrag. Versucht der Verwender jedoch, mittels AGB die Einbeziehung von AGB abw von den gesetzlichen Bestimmungen zu regeln, so ist diesbzgl die Verbandsklage gem § 1 eröffnet (BGH NJW 10, 864, 867 [BGH 11.11.2009 - VIII ZR 12/08]). Die Einbeziehung neuer Klauseln im Wege der Bedingungsanpassung eines Krankenversicherers gem § 178g III VVG unterliegt jedenfalls der Kontrolle durch die Verbandsklage (BGH NJW 08, 1160 [BGH 12.12.2007 - IV ZR 130/06]). Der Schutzzweck des § 1 spricht dafür, auch die Verwendung typischerweise überraschender Klauseln (§ 305c I BGB) der Kontrolle durch die Verbandsklage zu unterwerfen: Auch das Berufen auf Klauseln, die im Regelfall überraschend und daher nicht in den Vertrag einbezogen sind, stört den Rechtsverkehr und kann den Rechtsunkundigen verwirren (Ulmer/Brandner/Hensen/Witt Rz 16; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher Rz 21; aA BGH NJW-RR 87, 45, 46 [BGH 25.06.1986 - IVa ZR 263/84]: Die für das Verbandsklageverfahren nötige Typisierung sei insoweit unmöglich). In der Praxis mag man sich damit behelfen, dass typischerweise überraschende Klauseln auch bei unterstellter Einbeziehung in den Vertrag gegen § 307 verstoßen können (vgl BGH NJW 84, 2468 [BGH 28.06.1984 - VII ZR 276/83]; Erman/Roloff Rz 8).
3. Kontrolle des Umgehungsverbots.
Rn 6
Über den Wortlaut des § 1 hinaus hat die Rechtsprechung auch bei einem Verstoß gegen das Umgehungsverbot des § 306a BGB diesbzgl die Verbandsklage gem § 1 zugelassen (BGHZ 162, 294, 301 für den Fall einer bankinternen Anweisung zur Umgehung der AGB-Kontrolle; ebenso für einseitiges Bankschreiben LG Leipzig, VuR 14, 232 [LG Dortmund 20.09.2013 - 3 O 139/13]; ebenso bei Pauschalierung ...