Gesetzestext
(1) In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche und Rechtsverhältnisse einer Vielzahl von Verbrauchern gegen einen Unternehmer betreffen, können klageberechtigte Stellen folgende Verbandsklagen gegen Unternehmer erheben:
1. |
Abhilfeklagen und |
2. |
Musterfeststellungsklagen. |
(2) Kleine Unternehmen gelten als Verbraucher im Sinne dieses Gesetzes. Kleine Unternehmen sind solche, die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanz 2 Millionen Euro nicht übersteigt.
A. Zweck und Entstehung.
Rn 1
Das VDuG trat im Oktober 2023 an die Stelle der §§ 606–614 ZPO, in denen die Musterfeststellungsklage geregelt war. Diese ist nun in § 41 VDuG als Spezialfall geregelt. Im Vordergrund des VDuG steht jedoch die neu eingeführte Abhilfeklage. Sie dient der Umsetzung der RL (EU) 2020/1848 v 25.11.20 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der RL 2009/22/EG (ABl EU L 409/1 v 4.12.20). Zum Gesetzgebungsverfahren Gsell/Meller-Hannich JZ 22, 421; Janal GRUR 23, 985; Meller-Hannich VersR 23, 1321; Röthemeyer VuR 23, 332. Das VDuG wird mit Recht als ›juristisches Overengineering‹ (Schneider/Conrady/Kapoor BB 23, 2179, 2188) bezeichnet, da es ein sehr komplexes Verfahren für nur wenige zu erwartende Klagen schafft. Insb bleiben die Abtretungsmodelle und/oder Entwicklungen im Bereich des Legal Tech eine mindestens gleichwertige Form der Rechtsdurchsetzung.
B. Verhältnis zu anderen Verfahrensregeln.
Rn 2
Mit der Schaffung des VDuG setzt der Gesetzgeber die Zersplitterung des Verfahrensrechts fort und schafft ein weiteres Sonderverfahrensrecht. Die Option, anlässlich der RL-Umsetzung einheitliche Regeln für Kollektivverfahren zu schaffen und diese sinnvollerweise in der ZPO zu verorten, wurde leider nicht wahrgenommen. Daher stellen sich Abgrenzungsfragen zu verwandten Verfahrensarten.
I. Sonstige Verbandsklagen.
Rn 3
Das deutsche Recht kennt eine Reihe weiterer Verbandsklagebefugnisse, insb in §§ 1 ff UKlaG, §§ 8 und 10 UWG, § 33 und 34a GWB. Diese Befugnisse können – auch von demselben Verband – anstelle oder zusätzlich zu Verfahren nach dem VDuG wahrgenommen werden, da das VDuG sie weder ausschließt noch begrenzt. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die Befugnisse zB aus §§ 1 ff UKlaG sogar als ›Ansprüche‹ bezeichnet (krit dazu E. Schmidt ZIP 91, 629), sodass die Einführung des VDuG nichts am Bestehen dieser ›Ansprüche‹ ändert.
II. Verhältnis zum KapMuG.
Rn 4
Das Verhältnis des VDuG zum KapMuG ist nicht geregelt, obwohl es dafür zumindest theoretisch ein Bedürfnis gibt, da sich die Anwendungsbereiche überschneiden: Auch Kapitalanleger können Verbraucher sein, wenn sie zu nicht unternehmerischen Zwecken handeln (zB Kapitalanlage zur privaten Altersvorsorge).
Rn 5
Mangels gesetzlicher Regelung sind Verbandsklagen gem VDuG auch dann zulässig, wenn in der betreffenden Angelegenheit zugleich ein Musterverfahren gem KapMuG durchgeführt wird. Eine Aussetzung des VDuG-Verfahrens nach § 8 KapMuG kommt nicht in Betracht, da diese Vorschrift nur Individualverfahren betrifft, in denen selbst ein Musterverfahrensantrag nach § 2 KapMuG gestellt werden könnte (vgl BGH NJW 14, 3362, 3363; aA Melhardt WM 23, 1305, 132, der auch eine VDuG-Klage für KapMuG-fähig hält).
Rn 6
Ist jedoch eine Individualklage bereits erhoben und nach § 8 KapMuG im Hinblick auf das KapMuG-Musterverfahren ausgesetzt, so kann dieser Kläger seinen Anspruch nicht mehr gem § 46 VDuG anmelden. Dies ergibt sich aus der mit § 8 KapMuG beabsichtigten zwangsweisen Konzentrationswirkung des KapMuG, mit der es nicht vereinbar wäre, wenn ein zum KapMuG-Verfahren Beigeladener das Verfahren auf diesem Wege wieder verlassen könnte.
Rn 7
Der Ende 2023 vorgelegte RefE zur neuerlichen Reform und Entfristung des KapMuG will jedoch den Zwangscharakter des KapMuG aufheben und einen Austritt aus dem KapMuG auch zugunsten eines VDuG-Verfahrens ermöglichen.
C. Anwendungsbereich des VDuG.
I. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten.
Rn 8
Wenn das VDuG ›Verbraucherrechte‹ schützen will, so ist damit nur der begünstigte Personenkreis umschrieben, nicht aber bestimmte Rechtsvorschriften. Die betreffenden Ansprüche können sich auf sämtliche privatrechtliche Normen stützen; ein Bezug zum ›Verbraucherrecht‹ ist nicht erforderlich. Bspw können daher auch Ansprüche aus dem Mietrecht, dem Antidiskriminierungsrecht, dem Kartellrecht (vgl Hornkohl NZKart 24, 2) oder aus dem Datenschutzrecht (vgl Lühmann/Schumacher/Stegemann ZD 23, 131) geltend gemacht werden. Auch eine insolvenzrechtliche Feststellung gem §§ 178 ff InsO kommt in Betracht (aA Thole NZI 20, 411).
Rn 9
Ob auch in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten ein Verfahren gem VDuG durchgeführt werden kann, ist nicht klar geregelt (Diller NZA 23, 673). Der Sache nach wäre dies sinnvoll, da gerade im Arbeitsrecht häufig gleichförmige Betroffenheit vieler Arbeitnehmer vorliegt und diese zugleich Verbraucher iSd §§ 13 BGB, 29c II ZPO sind.
II. Verbraucher gegen Unternehmer.
1. Prozessualer Verbraucherbegriff.
Rn 10
Da § 13 BGB auf bestimmte Rechtsgeschäfte bezogen ist, hat der Gesetzgeber zusätzlich einen ›prozessualen‹ Verbraucherbegriff in § 29c II ZPO eingeführt, der hier Anwendung findet. Damit soll sichergestellt sein, dass auch bei außervertraglich...