Gesetzestext
(1) Hat ein Verbraucher vor der Bekanntgabe der Verbandsklage im Verbandsklageregister eine Klage gegen den Unternehmer erhoben, die die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse oder Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Verbandsklage betrifft, und meldet er seinen Anspruch oder sein Rechtsverhältnis zum Verbandsklageregister an, so setzt das Gericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verbandsklage oder bis zur sonstigen Erledigung der Verbandsklage oder bis zur wirksamen Rücknahme der Anmeldung zum Verbandsklageregister aus.
(2) Während der Rechtshängigkeit der Verbandsklage kann ein angemeldeter Verbraucher gegen den Unternehmer keine Klage erheben, deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Ansprüche oder dieselben Feststellungsziele betrifft.
(3) Rechtskräftige Urteile über Verbandsklagen binden ein zur Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem verklagten Unternehmer berufenes Gericht, soweit dessen Entscheidung den Lebenssachverhalt der Verbandsklage und einen mit der Abhilfeklage geltend gemachten Anspruch oder ein mit der Musterfeststellungsklage geltend gemachtes Feststellungsziel betrifft. Satz 1 gilt nicht für Abhilfeendurteile nach § 18.
A. Zweck.
Rn 1
Die Vorschrift soll die Bindungswirkung der Entscheidung im VDuG-Verfahren sichern und Parallelverfahren verhindern. Nach Anmeldung ist eine Individualklage durch den angemeldeten Verbraucher unzulässig (Abs 2). Ist sie bereits erhoben, so wird sie ausgesetzt (Abs 1).
B. Bindungswirkung und rechtliches Gehör.
Rn 2
Abs 3 regelt die Bindungswirkung für und gegen die angemeldeten Verbraucher. Diese erfolgt im Widerspruch zu Art 103 I GG jedoch ohne rechtliches Gehör der angemeldeten Verbraucher. Das Gesetz sieht nicht vor, dass sie ihre Sicht der Dinge in irgendeiner Weise in das Verfahren einbringen könnten. Es gibt nicht einmal eine Regelung zur Einsichtnahme in die Verfahrensakten; dazu müssten die Anmelder ggf auf § 299 II ZPO zurückgreifen. Die Anmelder können die mündliche Verhandlung als Zuschauer besuchen; insoweit besteht aber kein Unterschied zur allgemeinen Gerichtsöffentlichkeit.
Rn 3
Bereits zum früheren Recht der Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff ZPO aF) wurde diese ›prozessuale Entmündigung‹ (U Schmidt WM 18, 1966, 1971) der angemeldeten Verbraucher als verfassungsrechtlich bedenklich kritisiert (Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT 2018, A 51; Stadler JZ 18, 793, 798). Das VDuG entschärft die Problematik etwas, indem durch die Möglichkeit einer späten Rücknahme der Anmeldung (§ 46 IV) dem angemeldeten Verbraucher die Möglichkeit gegeben wird, sich der Bindungswirkung noch zu entziehen, wenn ihm der Verfahrensablauf nicht passt. Es ist aber unklar, auf welcher Informationsgrundlage der angemeldete Verbraucher diese Entscheidung treffen soll. Die bloße Anwesenheit als Zuschauer in der mündlichen Verhandlung reicht nicht aus, da dort oft auf den Inhalt von Schriftsätzen verwiesen wird und die mündliche Verhandlung in Zivilsachen nur begrenzt informativ ist. Die gem § 12 notwendige Information durch den Verbandskläger könnte schönfärberisch sein und problematische Themen ausblenden.
Rn 4
Daher bestehen die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Bindungswirkung ohne rechtliches Gehör fort. In verfassungskonformer Auslegung des geltenden Rechts hat das Gericht daher den angemeldeten Verbrauchern auf Antrag und unabhängig von einer Einwilligung der Parteien Einsicht in die Verfahrensakten gem § 299 II ZPO zu gestatten.
C. Bindungswirkung für Rechtsnachfolger.
Rn 5
Die in Abs 3 angeordnete Bindungswirkung erfasst auch den Rechtsnachfolger des angemeldeten Verbrauchers (Röthemeyer Rz 38). Zur Rechtsnachfolge vor Anmeldung s § 46 Rn 7.
D. Bindungswirkung im Ausland.
Rn 6
Ein Urteil im Verbandsklageverfahren wird gem Art 36 I Brüssel Ia-VO innerhalb der EU anerkannt. Auch ein Musterfeststellungsurteil schließt ein verselbständigtes Feststellungsverfahren ab und ist daher Endurteil iSd Brüssel Ia-VO (Stadler NJW 20, 265, 268).