Gesetzestext
(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen von Rechtsverhältnissen oder Rechtsfragen abhängt, die Gegenstand einer Verbandsklage nach dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz sind, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher oder nach diesem Gesetz einem Verbraucher gleichgestellt ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Erledigung des Verbandsklageverfahrens auszusetzen sei.
(3) Das Gericht kann, wenn eine für die Entscheidung des Rechtsstreits erhebliche Beweisfrage bereits Gegenstand einer schriftlichen Begutachtung durch einen in einem anderen Verfahren ernannten Sachverständigen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Vorlage des nach § 411a verwertbaren Gutachtens ausgesetzt wird.
A. Verfahren.
Rn 1
Die mit den Wirkungen des § 249 versehene Aussetzung wird als prozessleitende, in das Ermessen des Gerichts gestellte Maßnahme durch einen vAw zu erlassenden Beschl, dem nach § 128 IV keine mündliche Verhandlung – wohl aber die Gewährung rechtlichen Gehörs – vorangehen muss (BGH MDR 11, 1441), angeordnet. Der Beschl ist in der gebotenen Kürze zu begründen, damit die Ermessensausübung nachvollzogen werden kann. Bei der Ermessensausübung muss das Gericht insb die Gesamtdauer des auszusetzenden Verfahrens sowie die zu prognostizierende Dauer des vorgreiflichen Verfahrens berücksichtigen. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren werden recht hohe Anforderungen an die Begründungstiefe der Ermessensausübung gestellt (LAG Hessen NZA 21, 456). Der Anspruch der Parteien auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann insb einer wiederholten Aussetzung entgegenstehen (BVerfG NJW 13, 3432 [BVerfG 05.08.2013 - 1 BvR 2965/10]). Der Beschl muss nach Maßgabe des § 232 eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Die Ablehnung eines Aussetzungsantrags bedarf nicht zwingend eines gesonderten Beschl, sondern kann auch erst in dem Endurt erfolgen. Auch eine Aussetzung eines Teils des Rechtsstreits ist möglich, soweit über den Teil des Rechtsstreits, der nicht ausgesetzt werden soll, durch Teilurteil entschieden werden kann (BGH MDR 21, 1153). In diesen Fällen dürfte es regelmäßig vorzuziehen sein, nach erfolgter Prozesstrennung (§ 145 I) in gesonderten Verfahren über die Ansprüche zu verhandeln.
B. Anwendungsbereich.
Rn 2
Eine Aussetzung ist grds in jedem zivilprozessualen Verfahren möglich (zur Aussetzung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde im Patentverletzungsrechtsstreit: BGH GRUR 12, 93 [BGH 28.09.2011 - X ZR 68/10]). Mit Inkrafttreten des Verbandsklagerichtlinienumsetzungsgesetzes (BGBl I 23, 272) wurden die bisherige Regelung zur Aussetzung mit Blick auf ein anhängiges Musterfeststellungsverfahren an das VDuG in Abs 2 angepasst (s Rn 11) und in Abs 3 eine Aussetzungsoption für den Fall geschaffen, dass in einem anderen Rechtsstreit zu einer entscheidungserheblichen Beweisfrage die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet wurde (s Rn 12).
I. Eilbedürftige Verfahren.
Rn 3
Einschränkungen unterliegen Verfahren, die eine eilbedürftige Entscheidung verlangen. Dies gilt insb im einstweiligen Rechtsschutz: Hier ist eine Aussetzung allenfalls im Widerspruchsverfahren nach § 924 oder im Verfahren nach § 927 in Betracht zu ziehen (MüKoZPO/Fritsche Rz 2; Ddorf NJW 85, 1966; München MDR 86, 681). Im Urkundenprozess scheidet eine Aussetzung bis zum Erlass des Vorbehaltsurteils regelmäßig aus, sofern nicht besondere Umstände die Aussetzung gebieten (BGH MDR 21, 636 [BGH 09.03.2021 - II ZB 16/20]; Zö/Greger Rz 4); sie kommt aber dann in Betracht, wenn in einem anderen Verfahren über die Echtheit der Urkunde gestritten wird (Wieczorek/Schütze/Smid Rz 15; München JurBüro 03, 154). In der Zwangsvollstreckung ist eine Aussetzung nur in den Verfahren nach § 767 und § 771 möglich. Auch im Insolvenzverfahren ist wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens von einer Aussetzung abzusehen (BGH NZI 06, 642). Im aktienrechtlichen Freigabeverfahren nach § 319 VI AktG steht die gesetzgeberische Intention zur Beschleunigung des Verfahrens einer Aussetzung insb dann entgegen, wenn bei fehlendem Mindestanteilbesitz (§ 319 VI S 2 Nr 1 AktG) eine Freigabeentscheidung ohne sachliche Prüfung erfolgen kann (Köln AG 21, 686). Generell wird das Gericht von einer Aussetzung Abstand nehmen, wenn das Rechtsschutzinteresse durch eine Hinauszögerung der Entscheidung in Wegfall zu geraten droht (vgl LAG Düsseldorf NZA-RR 17, 435 [LAG Düsseldorf 22.03.2017 - 4 TaBV 102/16]).
II. FamFG-Verfahren.
Rn 4
Eine Aussetzung nach § 148 ist möglich. In den nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbark...