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Bei doppelter Zustellung, die mit dem (unzutreffenden) Hinweis des Gerichts verbunden ist, die erste Zustellung sei unwirksam, ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn der Anwalt im Vertrauen darauf die Rechtsmittelfrist berechnet und das Rechtsmittel verspätet eingelegt hat (BGH MDR 05, 1184 [BGH 04.05.2005 - I ZB 38/04]; NJW 11, 522); ansonsten muss der Anwalt wissen, dass die nochmalige Zustellung an dem bereits durch die erste Zustellung ausgelösten Lauf der Rechtsmittelfrist nichts ändert (BGH NJW-RR 06, 563 [BGH 20.10.2005 - IX ZB 147/01]). Auf die Auskunft der Geschäftsstelle über das Eingangsdatum einer Rechtsmittelschrift darf sich der Anwalt verlassen (BVerfG NJW 95, 711 [BVerfG 25.11.1994 - 2 BvR 852/93]). Auch sonstige falsche Auskünfte der Geschäftsstelle oder des Gerichts können Wiedereinsetzung begründen, zB die Mitteilung, die Beifügung der angefochtenen Entscheidung sei nicht mehr erforderlich (BGH NJW-RR 97, 1020 [BGH 20.01.1997 - II ZB 12/96]), ferner die unzutreffende Mitteilung, Fristverlängerung sei gewährt worden (BGH NJW 96, 1682 [BGH 20.03.1996 - VIII ZB 7/96]), oder das Verfahren sei gem § 244 unterbrochen (BGH NJW-RR 13, 692 [BGH 17.01.2013 - III ZR 168/12] Rz 13); anders aber bei grobem Anwaltsverschulden (vgl BGH NJW 94, 2299: Fristverlängerungsantrag beim unzuständigen Gericht). Hingegen darf ein Prozessbevollmächtigter nicht davon ausgehen, dass eine unvollständige Berufungsschrift nach fernmündlicher Ergänzung den gesetzlichen Formerfordernissen genügt. Dies gilt auch dann, wenn ihm die Geschäftsstelle des Gerichts mitteilt, ein klarstellender Schriftsatz sei nicht erforderlich (BGH MDR 17, 1318).
Bei einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung gilt, dass ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird, der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumnis berechtigt, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum auf Seiten der Partei hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht. Auch eine anwaltlich vertretene Partei darf sich im Grundsatz auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das Gericht verlassen, ohne dass es darauf ankommt, ob diese gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht (BGH NJW 12, 2443 Rz 10; NJW 17, 1112 Rz 11; ZWE 17, 293 Rz 11). Ein Rechtsirrtum ist, unabhängig von seiner Vermeidbarkeit, schon dann entschuldbar, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvollziehbar ist. Offenkundig fehlerhaft ist eine Rechtsmittelbelehrung dann, wenn sie – ausgehend von dem bei einem RA vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (BGH RdL 20, 426 Rz 5; MDR 18, 420 [BGH 24.01.2018 - XII ZB 534/17] Rz 7 f; NJW 17, 1112 [BGH 12.10.2016 - V ZB 178/15] Rz 12); unter dieser Voraussetzung ist die Vermutung des fehlenden Verschuldens gemäß § 233 S 2 widerlegt. Dies ist etwa der Fall, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung nicht auf die Pflicht zur elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes an das Gericht (§ 130d S. 1) hinweist. Von einem Anwalt ist die Kenntnis dieser Pflicht zu erwarten (BGH NJW-RR 23, 427 Rz. 23 ff; 23, 1163 Rz. 12; Siegmund NJW 23, 1681 Rz 27). Der RA unterliegt aber in aller Regel einem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 II GVG zuständigen Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt (BGH NJW-RR 22, 805 [BGH 24.02.2022 - V ZB 59/21] Rz 805; MDR 17, 841 [BGH 09.03.2017 - V ZB 18/16]; vgl auch NJW 12, 2443 [BGH 12.01.2012 - V ZB 198/11]). Ebenso ist die Versäumung der Frist zur Einlegung des im deutschen Recht als sofortige Beschwerde vor dem OLG ausgestalteten unionsrechtlichen Rechtsbehelfs nach Art 49 Abs 1 Brüssel Ia-VO unverschuldet, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung des landgerichtlichen Beschlusses fehlerhaft darauf verwies, dass die sofortige Beschwerde auch beim LG eingelegt werden kann (BGH MDR 21, 1485 [BGH 15.07.2021 - IX ZB 73/19] Rz 14). Hat das angerufene Berufungsgericht den Kläger allerdings darauf hingewiesen, dass die Zuständigkeit eines anderen Berufungsgerichts bestehen dürfte, und ist innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist, die 2 Wochen nach dem Zugang des Hinweises endete, bei dem auch für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung gem § 237 zuständigen Berufungsgericht weder ein Wiedereinsetzungsantrag eingegangen noch die versäumte Prozesshandlung nachgeholt worden, sondern dort die Berufungsschrift nach Ablauf der Berufungsfrist eingetroffen, ist dem Kläger die Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu versagen. Der Kläger kann nach einem solchen gerichtlichen Hinweis auch nicht darauf vertrauen, dass das zunächst angerufene Berufungsgericht das Verfahren so rechtzeitig abgeben wird, dass die Akten vor Ablauf der 2-wöchigen Wiedereinsetzungsfrist bei dem zuständigen Berufungsgericht eintreffen (BGH NJW-RR 21, 1317 [BGH 01.07...