1. Allgemeines.
Rn 26
Es ist seit jeher höchst streitig, ob und inwieweit das Gericht ein rechtswidrig erlangtes Beweismittel seiner Entscheidung zugrunde legen und im Rahmen seiner Beweiswürdigung verwerten darf (zum Streitstand vgl nur Baumgärtel/Laumen/Prütting Grundlagen Kap 6 Rz 3; Kiethe MDR 05, 965 ff; Gehrlein VersR 11, 1350; Bergwitz NZA 12, 353 ff). Abzulehnen sind von vornherein Extrempositionen, die derartig erlangte Beweismittel entweder generell zulassen (Werner NJW 88, 993, 1002; H. Roth S 279 ff; Brinkmann AcP 206, 746 ff) oder gänzlich ausschließen wollen (Konzen S 244 ff; Pleyer ZZP 69, 321, 334 ff; Reichenbach S 57 ff). Ausgangspunkt der Überlegungen muss das aus dem Justizgewährungsanspruch (Einl Rn 47) folgende Recht der Parteien sein, für ihre Tatsachenbehauptungen auch Beweis anzutreten und zu führen (BVerfGE 106, 28, 51 = NJW 02, 3619, 3624 [BVerfG 09.10.2002 - 1 BvR 1611/96]). Aus diesem ›Recht auf Beweis‹ (so der Titel eines Beitrags von Habscheid ZZP 96, 306 ff; vgl auch BVerfG NJW 17, 3218, 3219 [BVerfG 01.08.2017 - 2 BvR 3068/14] Rz 48; Jena MDR 12, 542, 543 [OLG Jena 29.11.2011 - 4 U 588/11]; ausf Nissen, Das Recht auf Beweis, S 147 ff) folgt, dass ein Beweisergebnis im Normalfall verwertet werden darf und eine Abweichung von dieser Regel einer besonderen Rechtfertigung bedarf (BVerfGE 130, 1, 28 = NJW 12, 907, 910 [BVerfG 07.12.2011 - 2 BvR 2500/09; 2 BvR 1857/10] Rz 117; BAGE 145, 278, 283 Rz 20 = MDR 14, 411; Katzenmeier ZZP 117, 375, 377; Scherpe, ZZP 129, 153, 167 f; Segger-Piening ZZP 132, 359, 378 ff). Diese Rechtfertigung ergibt sich nicht allein aus der rechtswidrigen Erlangung des Beweismittels selbst. Maßgebend muss vielmehr sein, ob der Schutzzweck der jeweils verletzten Norm eine Verwertung im Prozess verbietet (BGHZ 153, 165, 171 f = NJW 03, 1123, 1124 = BGHReport 03, 456 mit Anm Laumen = JZ 03, 630 [BGH 10.12.2002 - VI ZR 378/01] mit Anm Leipold = ZZP 117, 371 mit Anm Katzenmeier; Karlsr NJW 02, 2799, 2800; Gehrlein VersR 11, 1350; Segger-Piening ZZP 132, 359, 374 ff, jeweils mwN).
Rn 27
Ein Verwertungsverbot greift danach insb dann ein, wenn ein verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht des Einzelnen – etwa das aus Art 1 und 2 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht – verletzt ist und die Beweiserhebung eine erneute Grundrechtsverletzung bedeuten würde (R/S/G § 111 Rz 24). Erforderlich ist allerdings stets eine Güterabwägung zwischen dem gegen eine Verwertung sprechenden verletzten Rechtsgut auf der einen und dem ggf auch schutzwürdigen Interesse des Beweisführers an der Verwertung des Beweismittels auf der anderen Seite (BVerfGE 106, 28, 51 = NJW 02, 3619, 3624 [BVerfG 09.10.2002 - 1 BvR 1611/96]; BVerfG NJW 14, 532, 534; BGH NJW 10, 289, 290 ff [BGH 28.10.2009 - IV ZR 140/08]; BGH NJW 13, 2668, 2670 Rz 16 ff m Anm Hausen/Haußleiter; BAGE 105, 356, 358 = NJW 03, 3436, 3437 [BAG 27.03.2003 - 2 AZR 51/02]; abw Muthorst S 69 ff, 89 ff). Insoweit wird aber auf Seiten des Beweisführers eine Notwehr- oder notwehrähnliche Situation vorliegen müssen (BGH NJW-RR 10, 1289, 1292 [BGH 17.02.2010 - VIII ZR 70/07]). Ob ein – versuchter – Prozessbetrug zu einer derartigen Notwehrlage führt, hat der BGH (NJW 13, 2668, 2670 Rz 24) bislang offengelassen. Eine notwehrähnliche Lage ist nach hiesiger Ansicht bereits dann gegeben, wenn der Beweisgegner im Vertrauen auf ein mögliches Verwertungsverbot wider besseres Wissen einen unrichtigen Sachverhalt vorträgt (zutr Foerste NJW 04, 262, 263; weitergehend Segger-Piening ZZP 132, 359, 386). Verstöße gegen einfaches Recht werden dagegen nicht ohne weiteres ein Verwertungsverbot nach sich ziehen (Zö/Greger § 286 Rz 15a; für die Verletzung von Mitbestimmungsvorschriften ausf Altenburg/Leister NJW 06, 469 ff). Liegt ein Verwertungsverbot vor, darf es nicht durch die Heranziehung eines anderen Beweismittels ausgehöhlt werden. Ist etwa die Verwertung einer heimlich aufgenommenen Tonbandaufnahme unzulässig, darf auch ein Zeuge, dem das Tonband vorgespielt wurde, nicht über den Inhalt der Aufnahme vernommen werden (BayObLG NJW 90, 197, 198). Ferner kann ein zulässig gewonnenes Beweismittel verwertet werden, auch wenn es erst aufgrund eines rechtswidrig gewonnenen Beweismittels erlangt worden ist. Die Fernwirkung eines rechtswidrig erlangten Beweismittels ist zu verneinen (BGHZ 166, 283, 287 Rz 19 ff = NJW 06, 1657, 1659 f; Wieczorek/Ahrens Vor § 286 Teil B Rz 26).
Rn 28
Str wird die Frage beantwortet, ob bereits der Sachvortrag einer Partei zurückgewiesen werden kann, wenn er auf rechtswidrige Weise erlangt worden ist. Die hM lehnt ein solches Sachverwertungsverbot ab (BGH NJW 12, 301, 302 [BGH 21.09.2011 - IV ZR 203/09] Rz 10; Pötters/Wybitul, NJW 14, 2074, 2078). Ausnahmsweise sind aber auch Fallkonstellationen denkbar, in denen gleichsam als Vorwirkung eines Beweisverwertungsverbots bereits eine Unverwertbarkeit des Sachvortrags erforderlich ist (vgl die Fälle KG NJW 94, 462, 463 [KG Berlin 07.10.1993 - 16 U 4836/93]; Karlsr NJW 00, 1577, 1578 [OLG Ka...