Gesetzestext
1Die Beweisaufnahme und die Anordnung eines besonderen Beweisaufnahmeverfahrens durch Beweisbeschluss wird durch die Vorschriften des fünften bis elften Titels bestimmt. 2Mit Einverständnis der Parteien kann das Gericht die Beweise in der ihm geeignet erscheinenden Art aufnehmen. 3Das Einverständnis kann auf einzelne Beweiserhebungen beschränkt werden. 4Es kann nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage vor Beginn der Beweiserhebung, auf die es sich bezieht, widerrufen werden.
A. Grundlagen des Beweisrechts.
Rn 1
Das Beweisrecht wird in der ZPO an verschiedenen Stellen geregelt. Die §§ 284–294 betreffen die allgemeinen Grundlagen des Beweises. Die allgemeinen Regeln über die konkrete Beweiserhebung sind in den §§ 142–144 (Beweiserhebung vAw) und in den §§ 355–370 enthalten, während die einzelnen Beweismittel in den §§ 371–455 aufgeführt sind. Der Eid und die eidesgleiche Bekräftigung werden in den §§ 478–484 geregelt. Schließlich hat das selbstständige Beweisverfahren in den §§ 485–494 seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden. Das Beweisrecht der ZPO hat aber nicht nur Bedeutung im Zivilprozess. Es gilt darüber hinaus weitgehend im arbeitsgerichtlichen Verfahren, im gesamten Verwaltungsprozessrecht (§ 98 VwGO, § 118 SGG, § 82 FGO) und im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl § 30 I FamFG). Seine außerordentliche Bedeutung für jedes gerichtliche Verfahren ergibt sich ohne weiteres daraus, dass der Prozesserfolg fast regelmäßig auch oder ausschließlich von der Beweisbarkeit des geltend gemachten Rechts abhängt.
B. Begriff und Funktion des Beweises.
Rn 2
Das Gericht darf eine schlüssige, aber streitige Behauptung nur dann seiner Entscheidung zugrunde legen, wenn es von der Wahrheit dieser Behauptung überzeugt ist. Die Wahrheitsfindung geschieht durch Beweisführung der Parteien und Beweiserhebung durch das Gericht. Es handelt sich um einen Vorgang, der dem Richter die Überzeugung von der Wahrheit (oder Unwahrheit) einer Behauptung verschaffen soll. Diese Überzeugung ist wiederum Voraussetzung für die richterliche Rechtsanwendung, dh die Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter die jeweilige Rechtsnorm und damit die Streitentscheidung selbst. Allerdings wird der Begriff ›Beweis‹ in der Praxis auch für verwandte Phänomene herangezogen, etwa für das einzelne Beweismittel (›Beweis: Zeugnis Fritz Meier‹), für die Beweisaufnahme (›Beweis durch Sachverständigengutachten‹) oder für den Beweiserfolg (›Der Beweis ist erbracht‹).
C. Die Methode der Sachverhaltsermittlung im Prozess.
Rn 3
In der Praxis hat sich mit der sog Relationstechnik eine Methode entwickelt, die eine möglichst effektive und für die Beteiligten kostengünstigste Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts gewährleistet (s dazu Anders/Gehle AssEx Rz A 2 ff; Oberheim ZPR Rz 428 ff). Unter der Geltung des Beibringungsgrundsatzes ist es Sache der Parteien, den entscheidungserheblichen Sachverhalt in den Prozess einzuführen. In aller Regel werden dabei bestimmte Umstände und Tatsachen zwischen den Parteien streitig sein, so dass unterschiedliche Sachverhaltsdarstellungen vorliegen, nämlich diejenige des Klägers und diejenige des Beklagten. Die Relationstechnik beruht auf dem Gedanken, dass dementsprechend auch verschiedene Denkschritte (›Stationen‹) notwendig sind, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt herauszuarbeiten und zu klären, ob eine Beweisaufnahme notwendig ist.
Rn 4
Zunächst muss in der sog Klägerstation geprüft werden, ob das Vorbringen des Klägers, dh der unstreitige Sachverhalt und die von ihm behaupteten (nämlich vom Beklagten bestrittenen) Tatsachen seinen Klageantrag rechtfertigen. Es handelt sich um eine rein rechtliche Schlüssigkeitsprüfung, bei der die Wahrheit der vom Kl behaupteten Tatsachen unterstellt wird. Das abweichende Vorbringen des Beklagten bleibt also unberücksichtigt. Ist bereits das – isolierte – Vorbringen des Klägers – ggf nach Hinweisen des Gerichts gem § 139 auf die mangelnde Schlüssigkeit – nicht geeignet, seinen Klageantrag zu rechtfertigen, wird die Klage ohne weitere Prüfung und ohne Ansehung des Beklagtenvorbringens abgewiesen. Ist das Vorbringen des Klägers schlüssig, muss in einem zweiten Schritt iRd sog Beklagtenstation geprüft werden, ob das tatsächliche Vorbringen des Beklagten, seine Richtigkeit unterstellt, ggü dem Klägervorbringen erheblich ist. Eine Beklagtenstation ist also nur erforderlich, wenn die Sachverhaltsdarstellung des Beklagten von derjenigen des Klägers abweicht. Ist dies nicht der Fall, etwa wenn der Beklagte bei unstreitigem Sachverhalt nur eine abweichende Rechtsauffassung vertritt, muss der Klage auf der Grundlage der Schlüssigkeitsprüfung stattgegeben werden.
Rn 5
Erst wenn das Vorbringen des Klägers schlüssig und das des Beklagten erheblich ist, muss der Richter iRd sog Beweisstation feststellen, welchen Sachverhalt er seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat und ob er vor dieser Entscheidung eine Beweisaufnahme durchführen muss. Dazu ist zunächst zu klären, welche Tatsachen beweiserheblich, dh zwischen den Parteien streitig und für die Entscheidung erheblich sind. Beweiserhebl...