Rn 28

Der Anscheinsbeweis oder prima facie Beweis ist zwar im Gesetz nicht geregelt (§ 371a I 2 ist als Beweisregel anzusehen), hat aber in der Gerichtspraxis eine erhebliche Bedeutung und kann inzwischen als gewohnheitsrechtlich anerkannt gelten (Celle MDR 96, 1248; St/J/Thole Rz 214). Von der Struktur her weist er Parallelen zu den gesetzlichen Vermutungen und zum Indizienbeweis auf, weil jeweils vom Vorliegen einer unstreitigen oder bewiesenen, aber an sich nicht erheblichen Tatsache auf das Vorhandensein einer zu einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm gehörenden Haupttatsache geschlossen wird. Der Anscheinsbeweis dient letztlich dazu, mit Hilfe der allgemeinen Lebenserfahrung eine Lücke in der Sachverhaltsfeststellung zu überbrücken. Kennzeichnend für den Anscheinsbeweis ist eine ›Irgendwie-Feststellung‹ durch den Richter (Lepa NZV 92, 129, 130). Bei einem Auffahrunfall geht das Gericht also zunächst vom Verschulden des Auffahrenden aus, ohne dass der Geschehensablauf im Einzelnen geklärt werden müsste. Es begnügt sich also mit der Feststellung, dass der Fahrer ›irgendwie‹ fahrlässig gehandelt hat, weil er entweder zu schnell gefahren ist, keinen ausreichenden Abstand eingehalten hat oder auf ein Bremsen des Vorausfahrenden zu spät reagiert hat (vgl BGH NJW-RR 89, 670, 671 [BGH 18.10.1988 - VI ZR 223/87]; BGH NJW 17, 1177 [BGH 13.12.2016 - VI ZR 32/16] Rz 10 m Anm Geipel = Bespr Laumen MDR 17, 433). Die Funktion des Anscheinsbeweises besteht damit in einer Beweiserleichterung für die beweisführungsbelastete Partei.

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