Prof. Dr. Christoph Thole
Rn 5
Abs 1 wird verletzt, wenn das Gericht einen Streitgegenstand mit einem anderen, nicht – oder nicht mehr (dazu BGH BeckRS 19, 11565 Rz 6) – zur Entscheidung gestellten ›austauscht‹ oder dem Kl einen prozessualen Anspruch aberkennt, den er nicht oder nicht mehr zur Entscheidung gestellt hat (BGH NJW 91, 1683, 1684; BAG BeckRS 16, 71129), so wenn der Kl in 1. Instanz trotz einheitlichem Klageziel Ansprüche aus eigenem und fremden Recht geltend gemacht hatte und in der Rechtsmittelinstanz nur noch einen der beiden Streitgegenstände weiterverfolgt (BGH NJW-RR 91, 1683). Das Hinausgehen über unbezifferte Klageanträgen bei Schmerzensgeld ist zulässig, solange der Kläger bei Angabe einer Größenordnung damit – wie meist – keine klare Obergrenze verbunden hat (Hamm NJW-RR 17, 1124 [OLG Hamm 20.02.2017 - 3 U 138/15] Rz 44). Auch kann eine Klage nicht auf Grund beiderseitiger Tarifgebundenheit abgewiesen werden, wenn der geltend gemachte Anspruch nicht auf die Tarifgebundenheit gestützt wurde (BAG NZA 15, 1388, 1391; BeckRS 16, 71129) oder die Klage wegen eines Anspruchs aus einer Betriebsvereinbarung abgewiesen werden, wenn die Partei zuvor nicht geltend gemacht hatte, in den Anwendungsbereich der Betriebsvereinbarung zu fallen (BAG NZA 15, 438, 440 [BAG 09.12.2014 - 1 AZR 146/13]). Es ist grds zulässig, wenn das Gericht bei einem einheitlichen Streitgegenstand die einzelnen unselbstständigen Posten der Höhe nach verschiebt, ganz kürzt oder bei einzelnen Rechnungsposten sogar über das Geforderte hinausgeht, solange der geltend gemachte Endbetrag nicht überschritten wird (BGH NJOZ 22, 1069 Rz 6; NJW-RR 91, 1279 [BGH 22.11.1990 - IX ZR 73/90]; BAG NZA-RR 10, 565, 566 [BAG 22.10.2009 - 8 AZR 865/08]; St/J/Althammer § 308 Rz 6; Zö/Feskorn Rz 4) Ein Verstoß gegen Abs 1 liegt jedoch vor, wenn der Kl einen auf konkrete Rechtsverletzungen gestützten Zahlungsanspruch geltend macht und das Gericht einen ungeklärt gebliebenen Teil mit Beträgen ›auffüllt‹, die einem noch nicht bezifferten Zahlungsanspruch einer Stufenklage entnommen werden (BGH NJW-RR 90, 997, 998 [BGH 16.11.1989 - I ZR 15/88]), oder wenn es sonst eine unbegründete Forderung durch eine nicht geltend gemachte Forderung ›ersetzt‹ (BGH NJOZ 22, 1069 Rz 6; BeckRS 19, 4305 Rz 19; auch zum Verhältnis Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch LAG Köln BeckRS 19, 9980 Rz 59). Die vollständige und die tw Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters sind verschiedene Streitgegenstände, deshalb keine Teilentziehung, wenn der Antrag auf vollständige Entziehung gerichtet ist (BGH NJW-RR 02, 540 f [BGH 10.12.2001 - II ZR 139/00]).
Das Gericht verstößt gegen Abs 1, wenn es seinem Urteilsausspruch über einen Unterlassungsantrag einen anderen Klagegrund zu Grunde legt als denjenigen, mit dem der Kl seinen Antrag begründet hat (BGHZ 154, 342, 347 f = NJW 03, 2317, 2318), gleichermaßen, wenn der Kläger hilfsweise einen alternativen Klagegrund eingeführt hat und das Gericht diesen falsch versteht (Hamm 24.1.12, I-4 U 129/11, BeckRS 12, 06497). Des Weiteren liegt ein Verstoß vor, wenn das Gericht bei einem auf eine bestimmte Verletzungsform beschränkten Unterlassungsantrag ein allgemeines Verbot erlässt (Jena GRUR-RS 15, 09910 Rz 15). Das (Berufungs-)Gericht darf ohne dahingehenden Antrag ein Schmerzensgeld nicht in Kapital- und Rentenbeiträge aufteilen (BGH NJW 98, 3411 f [BGH 21.07.1998 - VI ZR 276/97]); die Verurteilung zur Rentenzahlung ist ein aliud ggü einem auf Kapitalbeiträge gerichteten Antrag. Umgekehrt keine Kapitalabfindung statt begehrter Rente (RGZ 136, 373, 375). Über einen vom Erfolg des Hauptantrags abhängig gestellten Hilfsantrag darf im Fall der Klageabweisung nicht entschieden werden (BAG NZA 15, 931, 938 [BAG 20.11.2014 - 2 AZR 664/13]). Bei Feststellungsanträgen ist aber nicht jede Abweichung ein aliud (Hamm NJW-RR 17, 1124 [OLG Hamm 20.02.2017 - 3 U 138/15] Rz 47).
Rn 6
Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch ist idR kein Minus, sondern ein Aliud ggü einem deliktischen Schadensersatzanspruch (idS BGH NJW 90, 1910, 1911 [BGH 20.04.1990 - V ZR 282/88] obiter). Ersatz in Geld statt – wie beantragt – in Natur soll zulässig sein (RG JW 36, 1937; Musielak/Musielak Rz 9). Beantragt der Kl in einem Nachbarrechtsstreit ua. Ersatz des ›künftigen Schadens‹, kann dies uU als (ggf hilfsweise gestellter) Antrag auf Gewährung eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ausgelegt werden. Das gilt nicht, wenn der Kl seinen Anspruch in konkreter Weise berechnet – die Verurteilung zu einer laufenden jährlichen Zahlung geht dann qualitativ über den Klageantrag hinaus (BGH NJW 93, 925, 927 [BGH 20.11.1992 - V ZR 82/91]). Wird die Rente für einen bestimmten Zeitraum gefordert, ist das Gericht daran gebunden (BGH MDR 90, 533). Lautet das Klägerbegehren auf Schadensersatz in Gestalt von steuerlichen Mehrbelastungen im Zusammenhang mit einer Eigennutzung eines Gebäudes, so darf das Gericht keine Umzugskosten zusprechen (BGH NJW 94, 442 [BGH 11.11.1...