Prof. Dr. Christoph Thole
Rn 13
Die Entscheidungsgründe sind der zentrale Bestandteil des Urteils; die Gründe müssen plausibel sein und dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit der Überprüfung bieten, sonst ist Abs 1 Nr 6, Abs 3 verletzt (Saarbr FamRZ 93, 1098, 1099), und zwar auch bei AG-Verfahren nach § 495a (LG München I NJW-RR 04, 353, 354). Bei Berufungsurteilen genügt die Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils nicht, wenn neues Parteivorbringen zu würdigen ist oder sich Änderungen ergeben haben (BGHZ 156, 216, 219; NJW 05, 830, 831 mwN; § 540 Rn 15). Ein Protokollurteil (dazu § 540 I) bedarf keiner Begründung, wenn die nach § 540 I 1 an die Stelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen tretenden Darlegungen bereits in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden sind (§ 540 I 2). Es kann prozessordnungsgemäß in der Weise ergehen, dass ein Urt, welches alle nach § 313 I Nr 1–4 erforderlichen Bestandteile enthält, von den mitwirkenden Richtern (zwingend, BGH NJW-RR 10, 911, 912 [BGH 01.03.2010 - II ZR 213/08] Rz 8 mwN) unterschrieben und mit dem Sitzungsprotokoll verbunden wird, um so den inhaltlichen Bezug zu den in das Sitzungsprotokoll ›ausgelagerten‹ Darlegungen nach § 540 I 1 herzustellen; keine Nachholung nach Ablauf der Frist des § 517 S 2 (BGH NJW-RR 08, 1521 [BGH 08.04.2008 - XI ZR 377/06] Rz 10 mwN).
Die Entscheidungsgründe sind zweckmäßigerweise und nach dem Konzept des § 313 II Nr 5 und 6 vom Tatbestand zu trennen, doch unterliegt das Urt trotz fehlender optischer Abrückung von Tatbestand und Entscheidungsgründen nur dann der Aufhebung, wenn sich die tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Erwägungen nicht hinreichend voneinander unterscheiden lassen (RGZ 102, 328, 330); umgekehrt können also tatsächliche Feststellungen auch dann als festgestellt gelten, wenn sie nur in den Entscheidungsgründen zu finden sind (BGH NJW 85, 1784, 1785). In keinem Fall darf die Auseinandersetzung mit Parteivorbringen in den Gründen deshalb unterbleiben, weil der Sach- und Streitstand ›sehr detailliert im Tatbestand‹ dargelegt sei (zu einem solchen Fall Frankf 9.11.07 – 10 U 143/07 – juris, OLGR 08, 607).
1. Gliederung.
Rn 14
Es empfiehlt für den Regelfall eine Untergliederung der Gründe wie folgt, wobei Zwischenüberschriften die Übersichtlichkeit fördern können und kein Tabu sein sollten: 1. Ausführungen zur Prozesssituation, soweit erforderlich, 2. ein Eingangssatz, der sich aber nicht in der Wiederholung des Tenors erschöpfen sollte (besser: ›Die Klage ist unbegründet, da der Kl keinen Anspruch nach § 985 BGB …‹; vgl Zö/Feskorn Rz 21); 3. Subsumtion unter die Tatbestandsvoraussetzungen unter Einbeziehung des etwaigen Beweisergebnisses und unter Auseinandersetzung mit den jeweils relevanten Rechtsfragen, 4. Begründung der Nebenentscheidungen (auch bei AU und streitigen Kostenanträgen Brandbg NJW-RR 00, 517). Das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess (BTDrs 17/10490) hat § 313 nicht geändert, die Belehrungspflicht wird bei § 232 geregelt. Auf die Ausführungen dort wird verwiesen; zur Rechtsmittelbelehrung in anderen Verfahren unten Rn 18.
Bei Streitgenossenschaft bietet es sich ggf an, nach den verschiedenen Rechtsbeziehungen zu unterteilen, um Besonderheiten und einer unterschiedlichen Rechtsgrundlage Rechnung zu tragen. Bei Klage und Widerklage und anderen besonderen Prozesslagen hängt die Darstellung von der Verständlichkeit und den inneren Sachzusammenhängen ab; idR empfiehlt sich eine nach den Anspruchsbegehren getrennte Darstellung.
2. Stil.
Rn 15
Die Entscheidungsgründe sind kurz zu halten, aber die Kürze richtet sich nach der Komplexität des Falles. Die Darstellung muss so sein, dass die Betroffenen die Gründe ebenso nachvollziehen können (Hamm FamRZ 01, 1161; Köln FamRZ 05, 1921; R/S/G § 60 Rz 24) wie die Rechtsmittelinstanz, zB auch im Hinblick auf Art 103 GG (BVerfG NJW-RR 02, 69 f [BVerfG 03.07.2001 - 1 BvR 1043/00]). Daher ist eine schlichte und prägnante Sprache ohne überbordendes ›Juristendeutsch‹ angemessen (Lüke NJW 95, 1067, 1068). Moralisierende und besserwisserische Bemerkungen sollte sich der Richter verkneifen. Auch letztinstanzliche Entscheidungen sind (unabhängig von Abs 3) zu begründen (BVerfGE 71, 122, 135 f = NJW 87, 1619 f [BVerfG 05.11.1985 - 2 BvR 1434/83]; zu Art 234 EG BVerfG NJW 88, 1456, 1457 [BVerfG 09.11.1987 - 2 BvR 808/82]).
3. Inhalt.
Rn 16
Auf das Parteivorbringen ist angemessen und nachvollziehbar einzugehen (BayVerfGH NJW 05, 3771, 3772 [BVerfG 30.06.2005 - 1 BvR 2615/04]), nicht aber auf jede Einzelheit, sondern auf den Kern des Vorbringens; wird ein Gesichtspunkt, der von einer Partei vorgebracht wird, nicht gewürdigt, obwohl er auch nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich wäre, so lässt dies die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vermuten (BVerfG NJW 92, 2556, 2557 [BVerfG 01.04.1992 - 1 BvR 1097/91]; BGH NJW-RR 95, 1033, 1034; 97, 688, 689 [BGH 17.12.1996 - X ZR 76/94]), aber nicht bei einem Vortrag, auf den es aus Sicht des Gerichts nicht ankommt (BAG NJW 08, 236...