Prof. Dr. Christoph Thole
Rn 3
Gegen die Entscheidung darf ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf nicht gegeben sein. Damit sind sowohl diejenigen Fälle erfasst, in denen die Entscheidung ihrer Art nach generell nicht anfechtbar ist, als auch solche, in denen im Einzelfall kein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf in Betracht kommt (zB mangels Zulassung oder wegen zu geringem Beschwerdewert). Zu den von Beginn an nicht anfechtbaren Entscheidungen gehören letztinstanzliche Entscheidungen wie Revisionsurteile und Beschlüsse des BGH zu Rechtsbeschwerden und über die Ablehnung einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 V 2), Berufungsurteile in Arrest- und Verfügungsverfahren (§ 542 II); Befangenheitsgesuche (LG Mannheim BeckRS 19, 6662); bestimmte Beschlüsse im Enteignungs- und Umlegungsverfahren (§ 542 II), gegen die weder Berufung noch Rechtsbeschwerde statthaft ist (§ 574 I 2; dazu BGH 2.2.22 – XII ZB 304/21 Rz 5); sowie Beschlüsse nach § 522 II (näher § 522 Rn 48) und Wiedereinsetzungsbeschlüsse wegen § 238 III (BGH NJW-RR 09, 642, 643 [BGH 20.01.2009 - Xa ZB 34/08] Rz 6). Erfasst sind daneben Entscheidungen, die im Einzelfall, insb wegen der fehlenden Zulassung eines Rechtsmittels unanfechtbar sind, so Berufungsurteile ohne Revisionszulassung und früher bei Unterschreiten der Wertgrenzen des 26 Nr 8, 9 EGZPO aF; sowie erstinstanzliche Urteile, die mangels Erreichen der Berufungsbeschwer von 600 EUR (§ 511 II Nr 1) (nicht maßgeblich: die Summe des Berufungsantrags) nicht berufungsfähig sind, sofern das Gericht die Berufung nicht zugelassen hat. Ist gegen ein Berufungsurteil die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig, so ist dies ein Rechtsbehelf iSd Abs 1 (BGHZ 161, 343, 346; BVerfG NJW 07, 3418, 3419; 159, 135, 139 f; vgl BGHZ 154, 289, 291 ff), da auf diese Weise die Aufhebung der Entscheidung erreicht werden kann (§ 544 VII). Zur willkürlichen Nichtzulassung unten Rn 7. Ein Beweisbeschluss über die Erstellung eines Gutachtens zur Klärung der Prozessfähigkeit einer Prozesspartei, der ohne deren vorherige persönliche Anhörung zu dieser Frage erlassen wurde, verletzt den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör und kann von ihr ungeachtet der in §§ 321a I 2, 355 II enthaltenen Regelungen mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden (BGH NJW-RR 09, 1233 Rz 9). Bei Zweifeln am Überschreiten des Beschwerdewerts kann es die Wahl des sichersten Wegs gebieten, sowohl Berufung als auch Anhörungsrüge einzulegen (BGH NJW 12, 2523, 2524 [BGH 08.05.2012 - VI ZB 1/11; VI ZB 2/11] Rz 9 f).
Str ist, ob die Gehörsrüge statthaft ist, wenn ursprünglich ein Rechtsmittel zulässig, die durch die Entscheidung beschwerte Partei jedoch die Rechtsmittelfrist versäumt hat (dafür Zö/Feskorn Rz 5; ThoPu/Reichold Rz 2; dagegen St/J/Althammer Rz 21). Das Wortlautargument, auch ein nicht mehr zulässiges Rechtsmittel sei ›nicht gegeben‹ (Zö/Feskorn Rz 5), widerspricht eher dem natürlichen Wortsinn. Zudem geht es dem § 321a gerade um die Schaffung eines außerordentlichen Rechtsbehelfes, dessen es nicht bedarf, wenn ein Rechtsbehelf an sich eröffnet wäre. Sollte ausnahmsweise einmal die Verletzung des rechtlichen Gehörs erst nach Rechtskraft offenbar werden, kann unmittelbar Verfassungsbeschwerde erhoben werden (St/J/Althammer Rz 21). Jedenfalls sollte es die Möglichkeit, hinsichtlich eines unter der Berufungsbeschwer (§ 511 II Nr 1) liegenden Teils des Streitgegenstands die Anhörungsrüge durchzuführen, wenn die Partei hinsichtlich des anderen Teils von der Berufung absieht (Musielak/Musielak Rz 4), nur bei eindeutig abgrenzbaren Teilen, nicht bei bloß quantitativer Teilbarkeit geben (vgl § 301 Rn 4 ff).
Steht nur dem Gegner ein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf zu, so berührt dies die Zulässigkeit der Gehörsrüge nicht; anders ist es aber, wenn die Gegenpartei von dem Rechtsbehelf Gebrauch macht und ein Anschlussrechtsmittel zulässig ist. Dann muss die von der Gehörsverletzung beschwerte Partei von der Anschließung Gebrauch machen, um auf diese Weise den Gehörsverstoß zu rügen. Dabei gelten die Form- und Fristerfordernisse des Anschlussrechtsmittels, nicht diejenigen der Abs 2 S 1–5 (so aber Zö/Feskorn Rz 4), denn dies bedeutete eine unzulässige Vermischung der Rechtsbehelfe und ihrer Voraussetzungen. War die Anschließung zunächst zulässig, hat die Partei jedoch die Frist versäumt (zB § 524 II 2), gilt Gleiches wie sonst bei Fristversäumnis eines (vorrangigen) Rechtsmittels. Verliert das Anschlussrechtsmittel seine Wirkung (§ 524 IV) infolge einer Zurücknahme des Hauptrechtsmittels (aA Zö/Feskorn Rz 4: Fortwirkung der Anschließung), so kann und muss nunmehr das Rügeverfahren eingeleitet werden, wobei entsprechend Abs 2 S 1 erst die Kenntnis von der Rücknahme für den Fristbeginn ausschlaggebend ist (so auch St/J/Althammer Rz 23). Bei einer bereits eingelegten Gehörsrüge ist die Entscheidung über die Gehörsrüge auszusetzen, bis Klarheit über die Fortwirkung der Anschließung besteht (Chr. Wolf ZZP 116, 523, 527 f; St/J/Althammer Rz 23); die Gegenmeinung will gerade umgekehrt das Rech...