Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
Rn 55
Von der Rechtskrafterstreckung zu Lasten des Rechtsnachfolgers macht § 325 II eine Ausnahme zu Gunsten des gutgläubigen Erwerbers. Anwendbar ist § 325 II daher nur bei solchen Erwerbsvorgängen, bei denen ein gutgläubiger Erwerb des Rechtsnachfolgers möglich ist, dh nicht geschützt ist der Erwerber bei der Forderungsabtretung und im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge. Für die Anforderungen an den guten Glauben gelten die jeweiligen Regelungen des materiellen Rechts. Zum Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs während der Rechtshängigkeit (BGH NJW-RR 02, 516, 517 [BGH 30.10.2001 - VI ZR 127/00]) ist die Eintragung eines Rechtshängigkeitsvermerks aufgrund Bewilligung bzw. einstweiliger Verfügung zulässig (BGH NJW 13, 2357 [BGH 07.03.2013 - V ZB 83/12]).
Rn 56
Umstritten ist, ob § 325 II nur bei einem Erwerb vom Nichtberechtigten anwendbar ist (MüKoZPO/Gottwald § 325 Rz 107; Zö/G.Vollkommer § 325 Rz 44; Anders/Gehle/Gehle ZPO § 325 Rz 35; v Olshausen JZ 88, 584, 586), oder auch bei einem Erwerb vom Berechtigten nach Rechtshängigkeit, sofern sich der gute Glaube nur auf die Rechtshängigkeit bezieht (ThoPu/Reichold § 325 Rz 8, Grunsky VerfahrensR § 47 VI 2b bb; B/L/A/H/Hartmann 77. Aufl § 325 Rz. 9; diff Leitmeier ZZP 133 [2020], 359, 381 ff).
Gegen eine Anwendung auch bei einem Erwerb vom Berechtigten spricht aber, dass § 325 II keinen eigenen prozessualen Gutglaubenstatbestand begründet, sondern lediglich auf die Vorschriften über den Erwerb vom Nichtberechtigten verweist. Die entsprechende Anwendung der materiell-rechtlichen Gutglaubensvorschriften auf den Rechtsnachfolger ist daher so zu deuten, dass sein gutgläubiger Erwerb nicht gehindert wird, wenn er im Zeitpunkt des Rechtserwerbs neben dem guten Glauben an das Recht auch bzgl der Rechtshängigkeit in gutem Glauben ist. Dieser Auffassung hat sich auch der BGH angeschlossen (BGHZ 219, 314 = NJW 19, 310 Rz 32). Liegt eine solche doppelte Gutgläubigkeit vor, hat der Rechtserwerb auch ggü der Rechtskraft des Urteils Bestand. Der Rechtsnachfolger ist mithin ggü einem zu seinen Ungunsten wirkenden Urt geschützt. Nicht heranzuziehen ist § 325 II bei einem zu Gunsten des Veräußerers ergangenen Urt. Auf dessen Wirkungen kann sich der Rechtsnachfolger immer schon nach § 325 I berufen, auch wenn er vom Nichtberechtigten erworben hat. Da es wegen des Erfordernisses der doppelten Gutgläubigkeit bei einem Erwerb vom Berechtigten nicht darauf ankommt, ob der Rechtsnachfolger Kenntnis von der Rechtshängigkeit hatte, tritt die Bindungswirkung richtigerweise auch im Falle eines Prozessvergleichs ein, dessen Inhalt auch als Ergebnis einer gerichtlichen Entscheidung denkbar gewesen wäre. da anderenfalls der mit § 265 bezweckte Schutz des Prozessgegners unterlaufen würde (BGHZ 219, 314 = NJW 19, 310 Rz. 33; zust Roth ZfIR 19, 65; Würdiger NJW 19, 314; krit Althammer JZ 19, 286 (Vertrag zulasten Dritter). Hierin liegt kein Widerspruch dazu, dass § 325 I auf Prozessvergleiche keine Anwendung findet, da diese nicht in Rechtskraft erwachsen.
Rn 56a
Aufgrund des geringen Anwendungsbereichs der Regelgung und der Verwerfungen, die durch die Loslösung von den materiell-rechtlichen Gutglaubensregelungen und die Anknüpfung an die Rechtshängigkeit entstehen können, werden im Schrifttum zunehmend Stimmen laut, die sich mit unterschiedlicher Begründung für eine Streichung des § 325 II (Musielak/Voit/Musielak Rz 23; Stamm ZZP 130 [2017] 185 ff; Ruckteschler S 349 ff) bzw eine Orientierung allein an den materiell-rechtlichen Regelungen aussprechen (Fervers S 137 ff).