I. Anwendbarkeit in Fällen mit Auslandsberührung.
Rn 5
In Fällen mit Auslandsberührung ist § 38 I anwendbar, sofern die Vorschrift nicht durch speziellere Normen des internationalen Zivilprozessrechts, einschließlich solcher in etwaigen bi- oder multilateralen Staatsverträgen, verdrängt wird. Im Anwendungsbereich der EuGVVO verdrängt Art 23 EuGVVO aF (= Art 25 EuGVVO in der seit dem 10.1.15 geltenden Fassung; s.a. Rn 9) § 38 I in vollem Umfang (BGH Urt v 26.4.18 – VII ZR 139/17, Rz 23 – juris m Anm Thode jurisPR-PrivBauR 11/18 Anm. 1; BGH Urt v 9.6.16 – IX ZR 314/14, Rz 35 – juris; Frankf Urt v 30.3.15 – 23 U 11/14 – juris) mit der Folge, dass die Beschränkung des Kreises der prorogationsbefugten Personen durch § 38 I entfällt (Karlsr ZMR 06, 929, 930; BayObLG BB 01, 1498; Mark/Gärtner MDR 09, 837, 839). Gleiches gilt für Art 17 LugÜ (BAG EzA § 38 ZPO Nr 1). Als spezielle Norm des internationalen Zivilprozessrechts kann künftig das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.05 eine Rolle spielen, welches in seinem Anwendungsbereich nicht nur § 38 verdrängen kann, sondern auch Art 23 EuGVVO aF (= Art 25 EuGVVO in der seit dem 10.1.15 geltenden Fassung), wenn eine der Parteien ihren Sitz in einem Vertragsstaat hat, der kein EU-Mitgliedsstaat ist (Eichel RIW 09, 289, 293). Das Abkommen wurde am 1.4.09 von der EU auf der Grundlage des Beschlusses des Rates vom 26.2.09 (ABl L 133 v 29.5.09, 1–13) unterzeichnet und kann künftig ggü Parteien mit Sitz in Vertragsstaaten von Bedeutung sein (vgl Eichel RIW 09, 289, 291; zum aktuellen Zeichnungs- und Ratifizierungsstatus vgl die im Internet veröffentlichte Statustabelle: http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.status&cid=98).
II. Prorogationsbefugte Parteien des Abs 1.
Rn 6
Die Kaufleute gehören zu den prorogationsbefugten Vertragsparteien gem § 38 I. Wer Kaufmann ist, bestimmt sich im Anwendungsbereich des § 38 I nach dem deutschen Sachrecht als der lex fori (München OLGR 01, 27), mithin nach den §§ 1 ff HGB (Hambg OLGR 08, 340; Karlsr MDR 02, 1269). Demnach fallen hierunter ein Handelsgewerbe betreibende Vollkaufleute (§ 1 II HGB), ins Handelsregister eingetragene Kaufleute (§§ 2, 5 HGB) und die Handelsgesellschaften (OHG, KG, Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, EWiV). Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist zwar rechtsfähig, aber kein Kaufmann iSd § 38 ZPO iVm §§ 1, 6 HGB (Celle Beschl v 2.12.21 – 18 AR 27/21, Rz 6 – juris). Schließlich gehören dazu auch die Kaufleute kraft Rechtsscheins, die beim Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung mit einer prorogationsbefugten Partei in zurechenbarer Weise den Rechtsschein des Vorliegens der Kaufmannseigenschaft gesetzt haben (Frankf MDR 75, 232, 233; vgl Lindacher ZZP 96, 486, 504 f). Nach ganz hM sind persönlich haftende Gesellschafter einer OHG oder KG als solche ebenfalls als Kaufleute iSd § 38 anzusehen (BGH WM 66, 757, 758 = BGHZ 45, 282, 284; Pfeiffer JA 05, 369), woraus auch geschlussfolgert wird, dass in Vereinbarungen mit einer OHG getroffene wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen im Falle der persönlichen Inanspruchnahme des persönlich haftenden Gesellschafters oder Komplementärs ebenfalls eingreifen (BGH Urt v 8.7.81 – VIII ZR 256/80, NJW 81, 2644, 2646; BayObLG Beschl v 1.7.22 – 101 AR 82/22, Rz 29 – juris; BeckOKZPO/Toussaint § 38 Rz 8; Zö/Schultzky § 38 Rz 13), wohingegen dies für Kommanditisten einer KG (BGH WM 66, 757, 758 = BGHZ 45, 282, 285) oder Gesellschafter und/oder Organmitglieder einer Kapitalgesellschaft nicht gilt (vgl BGH NJW 06, 431 [BGH 08.11.2005 - XI ZR 34/05];Frankf Beschl v 10.7.23 – 26 SchH 5/23 Rz 25 – juris; Pfeiffer JA 05, 369). Der mit § 38 I intendierte Schutz bezieht sich nur auf die am Vertragsschluss beteiligten Parteien und erstreckt sich nicht auch auf etwaige Rechtsnachfolger der Vertragsparteien (Köln NJW-RR 92, 571). Erfüllen beide Vertragsparteien die Voraussetzungen für eine wirksame Prorogation, so ist der Schutzzweck des § 38 I verwirklicht und es gilt der Aspekt des Vertrauensschutzes, wonach der Vollzug einer Rechtsnachfolge sich nicht zu Lasten des bzgl der Rechtsnachfolge einflusslosen Vertragspartners auswirken darf. Erfüllen die Vertragsparteien die Voraussetzungen für den wirksamen Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung, so gilt diese demnach zu Gunsten wie zu Lasten des Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolgers fort, auch wenn dieser nicht prorogationsbefugt ist (BayObLG Beschl v 28.10.20 – 1 AR 78/20, Rz 45 – juris mwN; Köln NJW-RR 92, 571; Meyer-Lindemann JZ 82, 592; aA LG Trier NJW 82, 286 f [LG Trier 22.10.1981 - 6 O 95/81] (zum Problem der Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen im Anwendungsbereich der EuGVVO s Siaplaouras GPR 19, 13). Eine extensiv-teleologische Auslegung oder gar eine analoge Anwendung des § 38 idS, dass auch Rechtsanwälte oder sonstige Angehörige so genannter ›Freier Berufe‹ (wie zB Ärzte, Apotheker, Architekten, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer etc) als ›Kaufleute‹ prorogationsbefugt sind, scheidet nach der Rspr aus (Hambg OLGR 08, 340, 341; krit Kerstges AnwBl 20, 542), da der Gesetzgeber i...