I. Verhältnis zu § 38 I und § 38 II, Internationale Zuständigkeit.
Rn 15
§ 38 I ist als abschließende Sondernorm für den dort aufgeführten Kreis prorogationsbefugter Personen ausgestaltet und geht daher § 38 III vor. Gleiches gilt, wie sich aus der Gesetzessystematik ergibt, auch für 38 II, der § 38 III als speziellere Vorschrift verdrängt (Zö/Schultzky § 38 Rz 41). Das bedeutet aber, dass auch nach dem Entstehen einer Streitigkeit im Anwendungsbereich des § 38 II die Beschränkung durch § 38 II 3 zu beachten ist, da der für diese Fallkonstellation gewollte besondere Schutz des inländischen Verbrauchers auch in zeitlicher Hinsicht absolute Geltung beansprucht (aA St/J/Bork § 38 Rz 40). In Fällen mit Auslandsberührung ist § 38 III nur anwendbar, wenn die Vorschrift nicht durch speziellere Normen des internationalen Zivilprozessrechts verdrängt wird. Im Anwendungsbereich der EuGVVO sind hinsichtlich Verbrauchern die zwingenden Vorgaben der Art 15 ff EuGVVO aF (= Art 17 ff EuGVVO in der seit dem 10.1.15 geltenden Fassung) zu beachten (Zö/Schultzky § 38 Rz 41).
II. Nach dem Entstehen der Streitigkeit.
Rn 16
Bei Beteiligung mindestens einer nicht prorogationsbefugten Partei am Rechtsverhältnis besteht im reinen ›Inlandsfall‹ die Möglichkeit zur Prorogation erst, wenn bereits eine Streitigkeit eingetreten ist. Für diesen Fall hat der Gesetzgeber ein geringeres Schutzbedürfnis für Verbraucher erkannt und diesbzgl mehr Freiraum für Prorogationsvereinbarungen geschaffen. Dabei grenzt sich der Begriff der ›Streitigkeit‹ wortlautmäßig und vom Normzweck her konsequent von demjenigen des ›Rechtsstreits‹ ab, da die Gefahr einer unerkannten Übervorteilung des Verbrauchers durch eine Gerichtsstandsvereinbarung schon dann deutlich geringer ist, wenn zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten über ein (potenziell) zwischen ihnen bestehendes Rechtsverhältnis aufgetreten sind (Geimer NJW 86, 1439; Keller Jura 08, 523, 526), ohne dass es insoweit bereits zur Klageeinreichung oder gar zur Klageerhebung gekommen sein muss. Diese Meinungsverschiedenheiten müssen sich aber auf ein bereits bestehendes und nicht erst auf ein durch Vertragsabschluss zu schaffendes Rechtsverhältnis beziehen, so dass auch im Falle von bereits im Vertragsabschlussstadium bestehenden Meinungsverschiedenheiten § 38 III Nr 1 ausscheidet, wenn die Gerichtsstandsabrede zugleich mit dem Vertrag abgeschlossen wird, dessen künftige Streitigkeiten sie regeln soll (BGH NJW 86, 1438, 1439; krit unter Erörterung von Ausnahmen hierzu: Geimer NJW 86, 1439 f [BGH 20.01.1986 - II ZR 56/85]). Setzt demnach § 38 III Nr 1 in zeitlicher Hinsicht als frühestmöglichen Zeitpunkt für eine Prorogation den Zeitpunkt an, in dem das Rechtsverhältnis, über das gestritten wird, schon besteht, so wird der spätest mögliche Zeitpunkt durch § 261 III Nr 2 bestimmt, wonach nach Klageerhebung vor dem zuständigen Gericht die einmal begründete Zuständigkeit der Parteidisposition kraft Gesetzes entzogen ist (Rz 3; BGH NJW-RR 10, 89, Rz 9; BayObLG Beschl v 31.8.23 – 102 AR 167/23, Rz 16 – juris; Keller Jura 08, 523, 525).
III. Schriftliche und ausdrückliche Vereinbarung.
Rn 17
Die Auslegung des Merkmals der ›Schriftlichkeit‹ ist auch bei § 38 III Nr 1 strittig. Einer Mindermeinung zufolge soll das Merkmal in § 38 III Nr 1 auf § 126 BGB verweisen (MüKoZPO/Patzina § 38 Rz 36). Dieser Auffassung ist mit der ganz hM nicht zu folgen, da nicht nachvollziehbar ist, warum das wortidentische Merkmal in der gleichen Vorschrift unterschiedlich auszulegen sein sollte (vgl statt Vieler: St/J/Bork § 38 Rz 38). Demnach ist hinsichtlich der Auslegung des Merkmals auf die Kommentierung zu § 38 II zu verweisen. Das Merkmal ›ausdrücklich‹ hingegen grenzt sich deutlich ggü § 38 I ab, wo neben ausdrücklichen Abreden auch ›stillschweigende‹ zugelassen sind. Demnach sind im Anwendungsbereich des § 38 III aus Verbraucherschutzgründen Gerichtsstandsabreden, die durch konkludentes Parteiverhalten zustande kommen oder sich im Wege der Auslegung einer insoweit nicht eindeutigen Formulierung entnehmen lassen, formnichtig. Ein Bsp hierfür wären etwa übereinstimmende Verweisungsanträge der Parteien an ein unzuständiges Gericht, bei denen ein etwaiger Wille beider Parteien auf bewusste Abweichung von der gesetzlichen Regelung nicht verschriftet wird. Ferner erfordert ›Ausdrücklichkeit‹ auch, dass der Fall, in dem die Abrede eingreifen soll, hinreichend bestimmt umschrieben ist. Ein bloßer Querverweis auf die Gesetzesbestimmung oder eine Formulierung dahingehend, dass die Gerichtsstandsabrede ›soweit gesetzlich zulässig‹, vorgenommen wird, werden diesen Anforderungen nicht gerecht (vgl St/J/Bork § 38 Rz 39). Vielmehr muss die Formulierung so deutlich sein, dass auch ein Laie sofort erkennen kann, welche Folgen die Vereinbarung auslösen soll (Keller Jura 08, 523, 527). Wie sich im Umkehrschluss aus § 38 II 2 ergibt, genügt im Anwendungsbereich des § 38 III die bloß von einer Partei schriftlich vorgenommene Bestätigung einer zuvor getroffenen mündlichen Vereinbarung nicht, um die formelle Wirksamkeit der Abrede herbeizuführen.