Gesetzestext
(1) In den Fällen des § 383 Nr. 1 bis 3 und des § 384 Nr. 1 darf der Zeuge das Zeugnis nicht verweigern:
1. |
über die Errichtung und den Inhalt eines Rechtsgeschäfts, bei dessen Errichtung er als Zeuge zugezogen war; |
2. |
über Geburten, Verheiratungen oder Sterbefälle von Familienmitgliedern; |
3. |
über Tatsachen, welche die durch das Familienverhältnis bedingten Vermögensangelegenheiten betreffen; |
4. |
über die auf das streitige Rechtsverhältnis sich beziehenden Handlungen, die von ihm selbst als Rechtsvorgänger oder Vertreter einer Partei vorgenommen sein sollen. |
(2) Die im § 383 Nr. 4, 6 bezeichneten Personen dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind.
A. Normzweck.
Rn 1
Zweck der Norm ist es, die in § 383 I Nr 1–3, 4 und 6 und in § 384 Nr 1 festgelegten Zeugnisverweigerungsrechte einzuschränken, indem Ausnahmen für diejenigen Fälle statuiert werden, in denen ein schutzwürdiges Interesse des Zeugen, nicht aussagen zu müssen, gerade nicht festzustellen ist.
B. Ausnahmen vom Zeugnisverweigerungsrecht gem § 385 I.
I. § 385 I Nr 1.
1. ›Zugezogen‹.
Rn 2
›Zugezogen‹ iSd Vorschrift ist der Zeuge dann, wenn ihm bewusst war oder wenn er zum fraglichen Zeitpunkt zumindest den Umständen nach damit rechnen musste, dass er künftig als Zeuge bzgl des streitigen Rechtsgeschäfts würde dienen müssen (BayObLGZ 84, 141, 145 zu § 25 BeurkG). § 385 ist eine Ausnahmevorschrift; die soeben genannten Voraussetzungen hat daher die Partei zu beweisen, die sich auf die Zeugnispflicht des Zeugen beruft (Musielak/Voit/Huber § 385 Rz 2).
2. Gescheitertes Rechtsgeschäft.
Rn 3
Sachdienlich ist es, die Ausnahme des § 385 I Nr 1 auch auf die Fälle zu erstrecken, in denen das Rechtsgeschäft gerade nicht zustandegekommen ist, so dass der Zeuge auch über die – im Ergebnis gescheiterten – Vorverhandlungen aussagen muss, insb aber über die Tatsache, dass das – zB von einer Partei behauptete – Rechtsgeschäft eben nicht errichtet wurde (Musielak/Voit/Huber § 385 Rz 2); wenn schon der Zeuge über den Erfolg der Errichtung aussagen müsste, ist es vom Zweck der Norm her nicht verständlich, warum er nicht ebenso über deren Scheitern aussagen können soll.
II. § 385 I Nr 2.
Rn 4
Über den Familienstand muss der Zeuge aussagen, aber auch nur über diesen, nicht dagegen über dessen jeweilige Vorgeschichte (also über Geburten, nicht aber über die Zeugung; über Todesfälle, nicht aber über deren Ursache; vgl LSG Hessen NJW 89, 2710, 2711, und Musielak/Voit/Huber § 385 Rz 3; Zö/Greger § 385 Rz 3). Bloße Hausgenossen, die nicht mit dem Zeugen verwandt oder zumindest verschwägert sind, sind nicht ›Familienmitglieder‹ iSd Vorschrift (Musielak/Voit/Huber § 385 Rz 3).
III. § 385 I Nr 3.
Rn 5
Zu den ›Vermögensangelegenheiten‹ gehören zB Eheverträge und Vereinbarungen hinsichtlich des ehelichen Güterrechts, das Erbrecht des Ehegatten und der Eltern und Kinder, sowie die mit Unterhalts- oder Sozialhilfeansprüchen in Zusammenhang stehenden Tatsachen wie etwa das Einkommen (LSG NRW NZS 15, 199, Rz 16). Voraussetzung ist freilich stets, dass der Zeuge selbst dem fraglichen Familienverband angehört (Zö/Greger § 385 Rz 4; anderenfalls wird ein Fall des § 383 oder § 384 ohnehin kaum vorliegen). Nicht erforderlich ist, dass der Rechtsstreit im Familienverband geführt wird; die Vorschrift gilt daher auch zu Lasten des geschiedenen Ehemanns im Rechtsstreit der Ehefrau gegen den Rechtsanwalt, dem sie Pflichtverletzungen im Unterhaltsstreit vorwirft (München FamRZ 14, 328, Rz 7).
IV. § 385 I Nr 4.
Rn 6
Die Ausnahmevorschrift ist eng auszulegen (BGH NJW 19, 517, Rz 18). Wer als Rechtsvorgänger einer Partei (wobei es gleichgültig ist, ob sie ihm im Wege der Einzel- oder der Gesamtrechtsnachfolge nachgefolgt ist, Zö/Greger § 385 Rz 5) oder – zB auch als Bote (Musielak/Voit/Huber § 385 Rz 5), nicht dagegen nur als vollmachtloser Vertreter (BGH NJW 19, 517, Rz 13) – als ihr (früherer oder jetziger) gesetzlicher oder gewillkürter Vertreter gehandelt hat, muss zu diesen eigenen Handlungen aussagen, nicht dagegen zu bloßen Wahrnehmungen, die er anlässlich dieser Handlungen gemacht hat (so der klare Wortlaut der Vorschrift; wie hier Musielak/Voit/Huber § 385 Rz 5; Zö/Greger § 385 Rz 5). Der Insolvenzschuldner ist nicht Rechtsvorgänger des Insolvenzverwalters (BGH NJW 19, 517, Rz 16). Dass der Ausnahmetatbestand des § 385 vorliege, muss der Beweisführer vor der Vernehmung des Zeugen nur schlüssig vortragen; macht der Zeuge aber geltend, nicht Rechtsvorgänger oder Vertreter gewesen zu sein, und liegen keine weiteren Belege vor, so steht dem Zeugen das Zeugnisverweigerungsrecht zu (BGH NJW 19, 517 [BGH 20.11.2018 - II ZB 22/17], Rz 111).
C. Entbindung von der Schweigepflicht (§ 385 II).
I. Anwendungsbereich.
Rn 7
§ 385 II betrifft Personen als Zeugen, die eine besondere Vertrauensstellung innehaben. Deshalb ist das Recht des Zeugen hier ohnehin beschränkt auf die Tatsachen, die ihm gerade im Hinblick auf diese Stellung anvertraut wurden (§ 383 Rn 15). Wenn aber der Vertrauensgeber den Zeugen von der Schweigepflicht entbindet, wäre ein Festhalten an der Zeugnisverweigerung offenkundig unsinnig. Dies regelt § 385 II und stellt damit gleichzeitig klar, dass § 383 letztlich dem Interesse des Vertrauensgebers...