Prof. Dr. Christian Katzenmeier
1. Ergänzung und Erläuterung.
Rn 17
Ist eine weitere Aufklärung erforderlich, so kann Ergänzung oder Klarstellung verlangt werden (auch im Fall des § 411a, s § 411a Rn 2, 8–10). Die Norm steht in Bezug zur allg Pflicht des Gerichts, das Gutachten auf Vollständigkeit, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit in sich und im Verhältnis zu anderen Gutachten zu prüfen (s.a. vor §§ 402 ff Rn 4); auch zu Privatgutachten (vor §§ 402 ff Rn 9). Dies kann unabhängig von der Form der vorausgegangenen Begutachtung mündlich (S 1) oder schriftlich (S 2) erfolgen, uU ist aber eine mündliche Erläuterung unumgänglich. Das Gericht kann nach pflichtgemäßem Ermessen vAw vorgehen, daneben haben die Parteien ein Fragerecht (§§ 402, 397), das im Anspruch auf rechtliches Gehör wurzelt (Art 103 I GG; BVerfG NJW 12, 1346; BGH VersR 17, 1034; 15, 257; s aber Rn 22 f).
2. Anordnung der mündlichen Erläuterung.
Rn 18
Ob eine mündliche Erläuterung angeordnet wird, steht grds im Ermessen des Gerichts (s etwa KG VersR 11, 1199). Eine Anordnung kann zwingend sein aufgrund von Erfordernissen der Beweiserhebung und -würdigung (a), sie ist es grds auf Parteiantrag (b). Dies gilt auch, wenn das Gutachten in einem vorausgegangenen selbstständigen Beweisverfahren erstattet worden ist (BGH VersR 07, 1713; NJW 18, 1171, 1172 m Anm Dölling NJW 18, 2092; s aber Rn 31).
a) Anordnung vAw.
aa)
Rn 19
Eine Pflicht des Gerichts, den SV vAw zur mündlichen Erläuterung zu laden, kann sich aus seiner Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts (§§ 286, 411 III) ergeben. Das Ermessen des Gerichts ist insoweit gebunden, als vorhandene Aufklärungsmöglichkeiten zur Beseitigung von Unklarheiten des Gutachtens nicht ungenutzt bleiben dürfen. Neben der eigenen Auseinandersetzung mit dem Gutachten bietet sich je nach Zweckmäßigkeit kumulativ oder alternativ die Möglichkeit, den SV zur mündlichen oder schriftlichen Erläuterung oder Ergänzung seines Gutachtens zu veranlassen. Dabei ist auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, nach § 412 zu verfahren (BGH NJW 92, 1459). Weder dem Recht noch der Pflicht zur Anordnung nach Abs 3 steht es entgegen, wenn eine Partei ihr Antragsrecht wegen Verspätung verloren hat (BGH NJW 92, 1459 [BGH 10.12.1991 - VI ZR 234/90]).
bb)
Rn 20
Eine Erläuterung oder Ergänzung ist etwa dann zu veranlassen, wenn der SV von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist (BGH NJW 81, 2009; NJW-RR 98, 1035 [BGH 11.02.1998 - IV ZR 37/97]) sowie im Falle unvollständiger (BGH NJW 97, 803) oder unklarer (BGH MDR 82, 212) Ausführungen des SV. Eine mündliche Erläuterung wird insb dann vorzugswürdig sein, wenn Widersprüche zu einem anderen, auch privaten Gutachten bestehen (BGH NJW-RR 98, 1527 [BGH 15.07.1998 - IV ZR 206/97]; NZV 97, 72, 73 [BGH 09.10.1996 - VIII ZR 298/95]; NJW-RR 94, 219 [BGH 13.10.1993 - IV ZR 220/92]; Köln NJW 94, 394 [OLG Köln 02.04.1993 - 6 U 163/92]). Unklarheiten, Zweifel und Widersprüche zwischen verschiedenen Bekundungen des SV hat das Gericht durch eine gezielte Befragung zu klären (BGH NJW 01, 2791 [BGH 27.03.2001 - VI ZR 18/00]; vgl BGH NJW 03, 2311 [BGH 06.05.2003 - VI ZR 259/02]).
cc)
Rn 21
Eine Ergänzung oder Erläuterung ist nicht mehr geboten, wenn das schriftliche Gutachten so eklatante Mängel aufweist, dass bereits sicher feststeht, dass es auch nach einer mündlichen Erläuterung nicht verwertet werden kann. Dabei ist jedoch das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung (BGH VersR 09, 517) zu beachten.
b) Anordnung nach Parteiantrag.
aa)
Rn 22
Aus dem Fragerecht der Parteien (Rn 17) ergibt sich die Pflicht, einem Parteiantrag auf Ladung des SV zur Erläuterung stattzugeben (BGHZ 6, 398, 400 f; NJW-RR 10, 10, 11; NJW 97, 802; s.a. VersR 68, 257 zu § 287; zur Nachholung durch das Berufungsgericht BGH VersR 17, 1295), unabhängig von einem erklärten Einverständnis mit einer schriftlichen Begutachtung (BGHZ 6, 398, 400 f) und auch, wenn der SV das schriftliche Gutachten in einem vorausgegangenen selbstständigen Beweisverfahren erstattet hat (BGH VersR 07, 1713; NJW 18, 1171, 1172 m Anm Dölling NJW 18, 2092). Ein Antrag kann nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil dem Gericht das schriftliche Gutachten überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint (stRspr: BVerfG NJW 12, 1346 mwN; BGH NJW 20, 1141; MedR 20, 284 = MDR 19, 1013; VersR 15, 257, 258; 10, 1240). Zur ordnungsgemäßen Antragstellung genügt es, allgemein die angestrebte Aufklärungsrichtung anzugeben (BGH VersR 15, 257, 258). Das Fragerecht der Partei erlischt nicht dadurch, dass das Gericht dem SV Fragen stellt, die dieser beantwortet (BGH VersR 15, 257, 258). Bei Neubegutachtung nach § 412 entfällt ggü dem Erstgutachter das Fragerecht, weil auf diesen das Gericht den Beweis nicht mehr stützt (vgl BGH NJW 11, 852, 855 [BGH 04.11.2010 - III ZR 45/10]).
bb)
Rn 23
Der Antrag kann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder missbräuchlich gestellt wurde (BVerfG NJW 12, 1346, 1347; BGHZ 35, 370, 371 = NJW 61, 2308; NJW 97, 802; VersR 17, 1034; NJW 18, 3097 = VersR 19, 569 m Anm Ottenstreuer) und nicht ausnahmsweise mit einer anderen Möglichkeit der weiteren Sachverhaltsaufklärung bean...