I. Öffentliche Urkunde.
Rn 3
§ 418 greift auf den in § 415 I legal definierten Begriff der öffentlichen Urkunde zurück. Erfasst werden nicht nur behördliche, sondern auch die von einem Notar erstellten Zeugnisurkunden (zum Behördenbegriff s § 415 Rn 12, zur Urkundsperson s § 415 Rn 13). Öffentliche Zeugnisurkunden sind allerdings nur solche Urkunden, die nicht rein innerbetrieblich verwendet werden, sondern die auf Außenwirkung gerichtet sind (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 4; vgl bereits RGZ 105, 255, 258). Die Erstellung der Zeugnisurkunden muss in den Zuständigkeitsbereich der Behörde oder Urkundsperson fallen (s § 415 Rn 15). Soweit Verfahrensvorschriften für die Erstellung einer Zeugnisurkunde bestehen, müssen diese eingehalten werden. So enthält das BeurkG bspw unterschiedliche Regeln für die Beurkundung von Willenserklärungen (§§ 8 ff BeurkG) und für sonstige Niederschriften (§ 37 BeurkG), zu denen das Tatsachenzeugnis gehört.
II. Inhalt der Urkunde.
1. Inhalt des Tatsachenzeugnisses.
Rn 4
Gegenstand eines Tatsachenzeugnisses ist die Wahrnehmung des bezeugten Vorgangs, wobei es keine Rolle spielt, ob über eine eigene Handlung der Behörde oder der Urkundsperson berichtet wird oder über fremde Handlungen (MüKoZPO/Schreiber § 418 Rz 4). Schlussfolgerungen sind keine Bezeugung selbst wahrgenommener Tatsachen (vgl St/J/Berger § 418 Rz 6 gegen LAG Köln MDR 03, 462 [LAG Köln 02.08.2002 - 11 Sa 1097/01] – Gutachten des medizinischen Dienstes; zu amtlichen Bescheinigungen s Rn 2). Schlussfolgerungen und rechtliche Beurteilungen, die in der Urkunde niedergelegt sind, erbringen somit keinen vollen Beweis iSv § 418 I (St/J/Berger § 418 Rz 6; MüKoZPO/Schreiber § 418 Rz 8; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 19).
Rn 5
Die Beweisregel des § 418 I erfasst im Grundsatz nur die Tatsachenzeugnisse, die auf einer eigenen Wahrnehmung des Bezeugten durch die Behörde oder Urkundsperson beruhen (vgl BGH IHR 19, 28, 29; NJW 14, 292, 293 [BGH 06.11.2013 - VIII ZR 346/12]; NJW 04, 2386, 2387 [BGH 06.05.2004 - IX ZB 43/03]; NJW 18, 2386; BVerwG 30.4.09 – 8 B 78/08 [zu den Grenzen der Beweiskraft einer Apostille]; s.a. BGH FamRZ 18, 1253, 1254 [zum Beweiswert einer Vollstreckbarerklärung]; zu Problemen der Anwendung des § 418 im europäischen Prozessrecht vgl. H. Roth IPrax 20, 21, 23). Bei einer behördlichen Zeugnisurkunde reicht es hierfür aus, dass die Wahrnehmung von einem Amtsträger innerhalb der Behörde gemacht wurde (AG Bergisch Gladbach Rpfleger 89, 336). Zeugnisurkunden über Tatsachen, die nicht von der Behörde oder der Urkundsperson selbst wahrgenommen wurden, entfalten nur dann die formelle Beweiskraft des § 418 I, wenn in anderen Gesetzen geregelt ist, dass die Beweiskraft des Zeugnisses nicht von der eigenen Wahrnehmung abhängig ist (§ 418 III). Das gilt etwa für Zustellungszeugnisse der ersuchten Behörde nach § 183 V 2 (BGH NJW 13, 387, 388 [BGH 12.12.2012 - VIII ZR 307/11]; NJW-RR 13, 435, 436 [BGH 15.01.2013 - VI ZR 241/12]). Weitere Anwendungsfälle sind die Personenstandsurkunden, die Geburten oder Todesfälle bezeugen, obwohl es sich nicht um eigene Wahrnehmungen der Behörde handelt (MüKoZPO/Schreiber § 418 Rz 5; St/J/Berger § 418 Rz 10; Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 26). Die Beweiskraft der Personenstandsregister und -urkunden ist ausdrücklich in § 54 PStRG geregelt.
2. Kombinierter Urkundeninhalt.
Rn 6
Eine Urkunde muss nicht ausschließlich als Urkunde über Erklärungen (§ 415), als wirkende Urkunde gem § 417 oder als Zeugnisurkunde gem § 418 anzusehen sein. Möglich ist vielmehr, dass ein und dieselbe Urkunde in ihren unterschiedlichen Bestandteilen verschiedene Inhalte verbindet, so dass sich ihre Beweiskraft dem jeweiligen Inhalt entsprechend teils nach § 415, teils nach § 417 und teils nach § 418 beurteilt (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 3). Ein gerichtliches Verhandlungsprotokoll (§ 160) ist eine Urkunde über Erklärungen gem § 415 I, soweit das Protokoll Erklärungen der Parteien (insb Anträge, § 160 III Nr 2), der Zeugen oder der Sachverständigen enthält (zu den Grenzen des Urkundenbeweises wegen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vgl § 355 Rz 10 mwN). Es ist hinsichtlich der richterlichen Wahrnehmungen und Handlungen (zB Augenscheinsergebnis, § 160 III Nr 5, Zeugenbelehrung) Zeugnisurkunde und es ist wirkende Urkunde gem § 417, sofern eine Entscheidung des Gerichtes (§ 160 III Nr 6) inhaltlich im Urkundentext oder als Protokollanlage (§ 160 V) wiedergegeben ist (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 6). Das notarielle Testament enthält neben der letztwilligen Verfügung des Testators auch eigene Feststellungen des Notars, so dass sich die formelle Beweiskraft der Urkunde teils nach § 415 I, teils nach § 418 I richtet (Wieczorek/Schütze/Ahrens § 418 Rz 3; Zö/Feskorn § 418 Rz 1, 2). Möglich ist auch die Kombination einer Privaturkunde iSv § 416 mit einer öffentlichen Urkunde. So ist bei der öffentlichen Beglaubigung nur der Beglaubigungsvermerk eine öffentliche Zeugnisurkunde, wohingegen der Text der Urkunde Privaturkunde bleibt (vgl § 415 Rn 18).