Dr. Bernd Müller-Christmann
Gesetzestext
(1) 1Ist eine Partei nicht prozessfähig, so ist vorbehaltlich der Vorschrift im Absatz 2 ihr gesetzlicher Vertreter zu vernehmen. 2Sind mehrere gesetzliche Vertreter vorhanden, so gilt § 449 entsprechend.
(2) 1Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, können über Tatsachen, die in ihren eigenen Handlungen bestehen oder Gegenstand ihrer Wahrnehmung gewesen sind, vernommen und auch nach § 452 beeidigt werden, wenn das Gericht dies nach den Umständen des Falles für angemessen erachtet. 2Das Gleiche gilt von einer prozessfähigen Person, die in dem Rechtsstreit durch einen Betreuer oder Pfleger vertreten wird.
A. Stellung der prozessunfähigen Partei.
Rn 1
Nur die prozessfähige Partei darf – vorbehaltlich Abs 2 – als Partei vernommen werden. Abs 1 ordnet an, dass bei fehlender Prozessfähigkeit grds der gesetzliche Vertreter an die Stelle einer Partei tritt. Die prozessunfähige Partei kann jedoch als Zeuge vernommen werden. Diese auf dem alten Recht des Parteieides beruhende Regelung erscheint überholt und unangemessen: Das Eintreten des gesetzlichen Vertreters anstelle der Partei hat keinen Sinn, wenn er keine eigene Kenntnis von der zu beweisenden Tatsache hat. Das Wissen der Partei kann nicht durch das Wissen des gesetzlichen Vertreters ersetzt werden. Die Regelung des § 455 ist für den Schutz der prozessunfähigen Partei nicht erforderlich. Dieser Schutz vor einer Aussage, für die der prozessunfähigen Partei möglicherweise bestimmte Fähigkeiten fehlen, wird dadurch gewährleistet, dass die Aussagefähigkeit allgemeine Voraussetzung jeder Vernehmung einer Beweisperson ist (§ 373 Rn 17).
B. Vernehmung des gesetzlichen Vertreters.
Rn 2
Für die Parteivernehmung tritt grds der gesetzliche Vertreter des Prozessunfähigen an dessen Stelle. Dementsprechend sind in Verfahren einer AG, GmbH oder Genossenschaft der Vorstand bzw die Geschäftsführer als Partei zu vernehmen; in Prozessen einer OHG, KG und der GbR die zur Vertretung berufenen Gesellschafter. Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker, Nachlass- und Zwangsverwalter sind im Prozess Partei (kraft Amtes) und als solche zu vernehmen, während der Insolvenzschuldner oder der Erbe Zeuge sein können. Für die Abgrenzung kommt es auf den Zeitpunkt der Vernehmung an. Die fehlerhafte Vernehmung einer Partei als Zeuge und umgekehrt ist nach § 295 I heilbar (§ 373 Rn 15).
Rn 3
Hat die prozessunfähige Partei mehrere gesetzliche Vertreter, so gilt nach Abs 1 S 2 § 449 entspr, dh das Gericht bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es alle oder nur einzelne vernimmt. Wenn es sich um eine Parteivernehmung auf Antrag handelt, ist das Gericht an eine Benennung im Antrag gebunden (§ 449 Rn 2).
C. Parteivernehmung trotz Prozessunfähigkeit.
Rn 4
Von der Grundregel des Abs 1 enthält Abs 2 eine Ausnahme für Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, und für prozessfähige Personen, die im Rechtsstreit durch einen Betreuer oder Pfleger (§§ 1814 ff BGB) vertreten werden. Auf andere prozessunfähige Parteien ist die Vorschrift nicht anwendbar (St/J/Berger Rz 15; Anders/Gehle/Gehle ZPO Rz 6). Beweisgegenstand müssen eigene Handlungen oder Wahrnehmungen dieser Personen sein. Die Beeidigung der genannten Personen ist möglich, wenn das Gericht dies für angemessen erachtet. Wo die prozessunfähige Partei ausnahmsweise als solche vernommen wird, kann ihr Vertreter wiederum Zeuge sein. Dem Gericht ist es auch unbenommen, die Vernehmung des Minderjährigen neben der des gesetzlichen Vertreters zu beschließen (St/J/Berger Rz 11). Minderjährige, aber partiell parteifähige Parteien (§§ 112, 113 BGB) fallen nicht unter § 455 II; sie sind stets als Partei zu vernehmen.
D. Hinweise zur Prozesssituation.
Rn 5
Wird ein Antrag auf Parteivernehmung eines Minderjährigen unter 16 Jahren gestellt, ist zu prüfen, ob eine Auslegung als Antrag auf Zeugenvernehmung möglich ist; bei Unklarheit ist ein Hinweis nach § 139 erforderlich.