1. Kein Hauptsacheprozess.
Rn 19
Das selbstständige Beweisverfahren gem § 485 II unterscheidet sich v Beweissicherungsverfahren des § 485 I im Wesentlichen dadurch, dass (nur) das Beweissicherungsverfahren gem § 485 I die Beweissicherung bei drohendem Verlust bezweckt; demgegenüber hat der Gesetzgeber die Einführung eines selbstständigen Beweisverfahrens durch Neuregelung in § 485 II ua begründet, dass in Anlehnung an das amerikanische Recht vor dem Eintritt in die eigentliche Verhandlung ein Verfahren geschaffen werden sollte, welches dem Zweck dient, den streitgegenständlichen Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht weitestgehend aufzuklären u insoweit den Hauptprozess vorzubereiten, was – so der Gesetzgeber – gerade bei Arzthaftungsprozessen zielführend erscheine. Der Gesetzgeber hat sich ausweislich der Regierungsbegründung deswegen dazu entschieden, dass ›bisherige Beweisverfahren zu erweitern u auf den Sicherungszweck für das schriftliche Sachverständigengutachten ganz, iÜ bei Zustimmung des Gegners zu verzichten‹, so BTDrs 11/3621, 23 (LG München I 14.11.22 – 41 O 4351/22 = NJW-RR 23, 474).
Für dieses isolierte selbstständige Beweisverfahren muss geklärt werden, ob ders Lebenssachverhalt mit denselben Beteiligten, wobei es nicht auf dieselbe Parteistellung ankommt (Braunschw BauR 01, 990), u demselben Rechtsschutzziel Gegenstand eines Rechtsstreits ist. Ein unterbrochener oder ausgesetzter Rechtsstreit gelten als kein Rechtsstreit (Ddorf JurBüro 84, 280). Der Urkundenprozess kommt als Hauptsache nicht in Betracht, denn Ergebnisse des selbstständigen Beweisverfahrens können in dieser speziellen Prozessart nicht verwertet werden (KG JurBüro 68, 391). Eine anhängige negative Feststellungsklage der Antragsgegnerseite sperrt nicht die Durchführung eines danach zum selben Gegenstand beantragten selbstständigen Beweisverfahrens nach § 485 II (Köln 18.3.22 – 11 W 54/21). Das eingeleitete Mahnverfahren gilt als Rechtsstreit (Jena OLGR 00, 59), ebenso der Prozesskostenhilfeantrag mit gleichzeitiger Einreichung der Klage. Arrest- u einstw Verfügungsverfahren stellen sich nicht als Rechtsstreit dar. Werden gg eine Restwerklohnklage Mängeleinreden gebracht, liegt betr die behaupteten Mängel ein anhängiges Verfahren vor, sodass das isolierte selbstständige Beweisverfahren betr diese Mängel unzulässig ist (LG München I 23.5.12 – 18 OH 5788/12; München 6.8.12 – 9 W 1045/12 Bau). Eine erhobene Untätigkeitsklage gem § 75 VwGO stellt einen anhängigen Rechtsstreit iSd § 485 II auch dann dar, wenn dort nur Bescheidung beantragt u kein Leistungsantrag gestellt worden ist (OVG Berlin-Brandenburg 10.6.21 – OVG 4 L 4/21). Ob aufgrund eines im Ausland anhängigen Rechtsstreits die Vorschrift des 485 II einschlägig ist, stellt ein Substitutionsproblem dar; im europäischen Rechtsraum anhängige Hauptsacheverfahren sind grds den deutschen gleichwertig, sodass bei einem laufenden belgischen Hauptsacheverfahren ein inländisch beantragtes selbstständiges Beweisverfahren unzulässig ist (Köln BauR 11, 1058); das ital selbstständige Beweisverfahren (›accertamnto tecnico preventivo‹) steht dem Verfahren nach § 494 indes nicht gleich, weshalb die gem diesem ital Verfahren in Italien getroffenen Feststellungen im deutschen Zivilprozess nicht zu Beweiszwecken verwertbar sind (Frankf 17.12.21 – 13 U 213/20 = EuZW 22, 384).
2. Rechtliches Interesse.
Rn 20
Das rechtliche Interesse des § 485 II ist weit zu fassen. Für einen v Versicherungsnehmer gg den privaten Unfallversicherer gestellten Antrag auf Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens zur sachverständigen Klärung der technischen Details u des Grades der Invalidität besteht rechtliches Interesse, wenn der Versicherer geltend macht, ein Versicherungsfall liege nicht vor oder die bedingungsgemäße Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung sei nicht eingehalten (Nürnbg 9.10.14 – 8 W 2010/14). Ein rechtliches Interesse für ein selbstständiges Beweisverfahren über eine Invalidität in der privaten Unfallversicherung kann auch dann vorliegen, wenn zw ist, ob innerhalb der nach den Versicherungsbedingungen maßgeblichen Frist die erforderliche ärztliche Bescheinigung erstellt worden ist (Dresd 18.5.22 – 4 W 279/22 = NJW-RR 22, 1048). § 485 II 1 enthält keine Einschränkung von S 2, sondern bestimmt nur, wann das Gericht ein öffentliches Interesse nicht verneinen darf (Celle IBR 11, 1352). Anders als beim Antrag gem § 485 I (dazu § 485 Rn 15) ergibt drohende Verjährung ein rechtliches Interesse für einen Antrag gem Abs 2 (Enaux Jahrbuch BauR 99, 169), sodass für einen RA bei drohender Verjährung die Pflicht bestehen kann, ein selbstständiges Beweisverfahren zwecks Beeinflussung des weiteren Laufes der Verjährungsfrist einzuleiten (Celle IBR 11, 551 [OLG Celle 24.06.2011 - 3 W 55/11]). Kein rechtliches Interesse ist gegeben, wenn die begehrte Feststellung sich auf reine Zählvorgänge beschränkt, denn für diese bedarf es keiner Sachkunde.
Rn 20a
Im selbstständigen Beweisverfahren kann trotz der Rspr des BGH zur Abschaffung der fiktiven Mängelbeseit...