Prof. Dr. Markus Gehrlein
Rn 35
Das durch §§ 1368, 1369 BGB begründete Revokationsrecht eines Ehegatten, die Unwirksamkeit von Verfügungen des anderen Ehegatten (§ 1365: Vermögen im ganzen; § 1369: Haushaltsgegenstände) geltend zu machen, ist eine Erscheinungsform der gesetzlichen Prozessstandschaft. Ebenso verhält es sich mit der Unterhaltsklage eines vertretungsberechtigten Elternteils für Unterhaltsansprüche des minderjährigen Kindes gegen den anderen Elternteil während des Getrenntlebens oder der Anhängigkeit der Ehesache (§ 1629 III; BGH NJW 83, 2084 [BGH 23.02.1983 - IVb ZR 359/81]). Endet die gesetzliche Verfahrensstandschaft eines Elternteils mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, so kann das Kind als Antragsteller in das Verfahren nur im Wege des nicht der Zustimmung des Antragsgegners bedürftigen gewillkürten Beteiligtenwechsels eintreten (BGH NJW 13, 2595 [BGH 19.06.2013 - XII ZB 39/11] Rz 7). Im Rahmen einer Gütergemeinschaft wird der Ehegatte, der das Gesamtgut verwaltet, in allen das Gesamtgut betreffenden gerichtlichen Verfahren als Prozessstandschafter tätig (§ 1422 BGB). Der nicht verwaltende Ehegatte ist in den Fällen der §§ 1428, 1429 S 2 zum Prozessstandschafter berufen. Der überlebende Ehegatte hat bei fortgesetzter Gütergemeinschaft für das Gesamtgut Prozessführungsbefugnis (§ 1487 BGB). Bei einer Erbengemeinschaft ermächtigt § 2039 BGB den einzelnen Erben zur Geltendmachung von Nachlassansprüchen gegen Dritte (R/S/G § 46 Rz 25), während die Bestimmung die Erhebung von Gestaltungsklagen nicht erfasst. Ansprüche einer Personengesellschaft (GbR, OHG, KG) aus dem Gesellschaftsverhältnis (Sozialansprüche) können von einzelnen Gesellschaftern zugunsten der Gesellschaft gegen Mitgesellschafter geltend gemacht werden (actio pro socio: BGH NJW 01, 1210 [BGH 15.01.2001 - II ZR 48/99]; 92, 1890, 1892 [BGH 23.03.1992 - II ZR 128/91]; 85, 2830 f). Der Gesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH kann unter den Voraussetzungen der actio pro socio die Ausschließungsklage gegen den anderen Gesellschafter erheben (BGH WM 23, 1747 Rz 10 ff). Scheidet der Gesellschafter nach Rechtshängigkeit der actio pro socio aus der Gesellschaft aus, wird die Klage ohne die Möglichkeit eines Rückgriffs auf § 265 unzulässig (Karlsr NJW 95, 1296 f [OLG Karlsruhe 09.12.1993 - 11 U 50/91]). Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte können von einzelnen Gesellschaftern durchgesetzt werden, wenn ein Gesellschafter unter Zurückstellung von Gesellschaftsinteressen in bewusstem Zusammenwirken mit dem Schuldner seine Beteiligung an der Geltendmachung der Gesellschaftsforderung verweigert (BGHZ 102, 152, 155 = NJW 88, 558 f; BGHZ 17, 340, 346 f = NJW 55, 1393 f; Saarbr OLGR 01, 90) oder ein Gesellschafter die Einziehung einer Forderung aus gesellschaftswidrigen Gründen ablehnt und der verklagte Schuldner an dem gesellschaftswidrigen Verhalten beteiligt ist (BGHZ 102, 152, 155 = NJW 88, 558 f; BGHZ 39, 14, 17 = NJW 63, 641, 643; DB 08, 1620, 1622 Rz 37; Saarbr OLGR 01, 90; St/J/Bork vor § 50 Rz 37a). Diese Voraussetzungen müssen positiv feststehen; lediglich erhebliche Anhaltspunkte für ihr Eingreifen genügen nicht (BGH DB 08, 1620, 1622 f Rz 38). Schließlich kann ein Gesellschafter aufgrund einer Notgeschäftsführung (analog § 744 II BGB) zum Forderungseinzug berechtigt sein (BGH DB 08, 1620, 1622 Rz 36; Saarbr OLGR 01, 90). Die unmittelbar auf § 744 II BGB gestützte Notprozessführung eines einzelnen Bruchteilsberechtigten (§§ 741 ff BGB) ist ein Fall der Prozessstandschaft (BGHZ 110, 220, 224 = NJW 90, 1106; BGHZ 94, 117, 120 f = NJW 85, 1826). Der aus § 432 I 2 BGB vorgehende Mitgläubiger einer unteilbaren Leistung und der kraft § 1011 BGB Eigentümerrechte verfolgende Miteigentümer sind gesetzliche Prozessstandschafter (BGHZ 79, 245, 247 = NJW 81, 1079; BGH NJW 85, 2825; St/J/Bork Rz 37; aA Zö/Vollkommer Rz 26). Die Verfolgung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften (Gema, §§ 27 I 2 UrhG, 1, 6 WahrnG) und die Schutzklage des Verlegers anonymer Werke für den Urheber (§ 10 II 2 UrhG) vollziehen sich auf der Grundlage einer gesetzlichen Prozessstandschaft. Bei der Überweisung einer gepfändeten Forderung (§ 835) ist streitig, ob der Pfändungsgläubiger als Prozessstandschafter oder – was wohl vorzuziehen ist – ähnl wie Nießbraucher und vertraglicher Pfandgläubiger aufgrund einer ihm durch die Pfändung verliehenen materiellen Verfügungsmacht die Forderung gegen den Drittschuldner verfolgen kann (St/J/Bork Rz 36). Der Vollstreckungsschuldner kann auf Leistung an den Gläubiger klagen (BGHZ 147, 225 = NJW 01, 2179). Aus § 126 Abs 2 S 1 VVG ergibt sich weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung eine aktive gesetzliche Prozessstandschaft des Schadensabwicklungsunternehmens eines Rechtsschutzversicherers für den Anspruch auf Auskehr der einem im Strafverfahren freigesprochenen Versicherten durch die Staatskasse erstatteten Auslagen (BGH BeckRS 22, 36827 Rz 7 ff).