Rn 14
Die Klageänderung kann (auch in den Fällen der §§ 264–266) nur auf solche Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung nach § 529 ohnehin zugrunde zu legen hat. Danach besteht für die Berufungsinstanz grds eine Bindung an den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt. Der Vortrag neuer Tatsachen ist nur unter engen Voraussetzungen möglich (§§ 529 Nr 2, 531 II; BGH MDR 23, 253 [BGH 15.12.2022 - I ZR 135/21]; BGHR 07, 28; KG KGR 06, 504). Über eine Klageänderung kann dieses grundsätzliche Verbot des Vortrags neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht umgangen werden (keine ›Flucht in die Änderung des Streitgegenstands‹). Das gilt auch für die Begründung privilegierter Klageänderungen iSd § 264, die als solche ohne Rücksicht auf die Beschränkungen des § 533 zulässig sind (BGH MDR 23, 253; Kramer MDR 23, 333; aA noch BGH MDR 17, 14). Nicht neu sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erstinstanzlich zwar von einer Partei vorgetragen, vom Gericht aber für unerheblich gehalten wurden (§ 531 II; BGH NJW-RR 12, 429 [BGH 13.01.2012 - V ZR 183/10]; Ddorf JZ 15, 726). Hat das erstinstanzliche Gericht zu solchen, aus seiner Sicht zutreffend für unerheblich gehaltenen Tatsachen keine Feststellungen getroffen, sind diese vom Berufungsgericht nachzuholen (§ 529 I Nr 1), da Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen sich auch aus neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln ergeben können, die in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sind (BGH GE 13, 117; MDR 12, 1184; NJW 11, 2796; BGHZ 158, 295, 310; Musielak/Voit/Ball § 529 Rz 19). Auch unstreitiger Sachvortrag ist stets zu berücksichtigen (BGH MDR 05, 588; einschränkend Ddorf JZ 15, 726: nur, wenn sich die neuen Tatsachen zumindest auch auf den erstinstanzlichen Klagegrund beziehen). Praktisch führt dies dazu, dass die geänderte Klage auf denselben Prozessstoff gestützt werden muss, wie die bisherige Klage (BGH NJW-RR 10, 1508 [BGH 27.01.2010 - XII ZR 148/07]; NJW-RR 05, 437 [BGH 06.12.2004 - II ZR 394/02]; zur Berücksichtigungsfähigkeit zweitinstanzlicher Kündigungen im Mietrecht Reinke NZM 13, 404). Verhindert wird damit auch, dass ein neuer Streitgegenstand zwar wirksam in den Prozess eingeführt wird, er aber rechtskraftfähig (§ 322 I, II) abgewiesen werden muss, weil Tatsachen, die zu seiner Substantiierung erforderlich sind, nicht berücksichtigt werden dürfen (BGH NJW-RR 10, 1286 [BGH 22.04.2010 - IX ZR 160/09]). Insoweit dient die zweite Voraussetzung des § 533 auch dem Schutz der Partei vor einem endgültigen Verlust ihrer Forderung.