Rn 11
Tatbestand und Entscheidungsgründe werden beim Berufungsurteil nicht mit eigenen Überschriften versehen, sondern nach § 540 I Teile der einheitlichen ›Gründe‹ des Urteils, die sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Feststellungen des Berufungsgerichts umfassen. Die Gründe müssen erkennen lassen, dass das Gericht den wesentlichen Kern des Vortrags der Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfG NJW 23, 2712 [BVerfG 07.06.2023 - 2 BvR 2139/21]; BGH NJW 07, 1455 [BGH 06.12.2006 - XII ZB 99/06]; NJW-RR 05, 1603). Aus dem Berufungsurteil muss zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen (BGH MDR 17, 785; NJW 11, 2300; BGHZ 156, 216). Fehlen einem Berufungsurteil tatbestandliche Feststellungen und rechtliche Begründung, so ist im Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision zu unterstellen, dass das Berufungsgericht das in den Tatsacheninstanzen gehaltene und im Beschwerdeverfahren angeführte Vorbringen des Beschwerdeführers nicht hinreichend iSd Art 103 Abs 1 GG zur Kenntnis genommen hat und die Entscheidung des Berufungsgerichts hierauf beruht (BGH NJW-RR 23, 84 [BGH 19.07.2022 - VIII ZR 194/21]; MDR 23, 794; 21, 702 [BGH 23.02.2021 - VIII ZR 213/20]).
Rn 11a
Die Gründe müssen nicht vollständig ausformuliert werden, eine Bezugnahme kann genügen. Dies gilt nicht nur für die tatsächlichen Feststellungen (Abs 1 Nr 1), sondern auch für die rechtliche Begründung (Abs 1 Nr 2). Bezug genommen werden kann auf jede Entscheidung, die früher zwischen den Parteien ergangen ist, unabhängig davon, ob diese im konkreten Rechtsstreit oder einem Parallelprozess ergangen ist und unabhängig auch davon, ob sie vom erkennenden oder einem anderen Gericht getroffen wurde (BGH MDR 23, 122). Zu den Anforderungen an Verweisungen und Bezugnahmen unten Rn 15.
I. Tatsächliche Feststellungen.
Rn 12
Unterliegt ein Berufungsurteil der Revision, müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung aus dem Urteil oder – im Falle des § 540 Abs 1 S 2 – aus dem Sitzungsprotokoll einschließlich der im Urteil oder im Sitzungsprotokoll enthaltenen Bezugnahmen so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung stattfinden kann (BGH DAR 18, 78; NJW 16, 3787; BGHZ 158, 60, 62). Weiter muss das Berufungsurteil in diesem Fall erkennen lassen, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist und welche Berufungsanträge die Parteien zumindest sinngemäß gestellt haben (BGH NJW-RR 18, 1087; NJW 16, 3787; WM 14, 217; NJW 07, 2334).
1. Klassischer Berufungstatbestand.
Rn 13
Der klassische, § 313 II entsprechende Tatbestand eines Berufungsurteils bestand neben der Überschrift, einem Einleitungssatz und dem unstreitigen Vorbringen der Parteien über beide Instanzen aus der Wiedergabe des erstinstanzlichen Vorbringen (streitiges Vorbringen des Klägers, Anträge des Klägers und des Beklagten, streitiges Vorbringen des Beklagten, Ergebnis einer Beweisaufnahme), dem erstinstanzlichen Urt (Ergebnis, tragende Gründe und Zustellungsdatum), der Berufung (Einlegungs- und Begründungsdatum) und dem Vorbringen der Parteien in 2. Instanz (streitiges Vorbringen des Berufungsklägers, Anträge von Berufungskläger und Berufungsbeklagtem, streitiges Vorbringen des Berufungsbeklagten, Ergebnis einer zweitinstanzlichen Beweisaufnahme).
2. Tatbestandssurogat (Abs 1 Nr 1).
Rn 14
Mit Wechsel der Berufungsinstanz von einer Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens hin zu einer bloßen Fehlerkontrolle und -beseitigung braucht das Berufungsurteil den Inhalt der Sachentscheidung nicht vollständig darzustellen, sondern kann sich auf die Darstellung derjenigen tatsächlichen Umstände beschränken, die im erstinstanzlichen Urt unrichtig oder unvollständig wiedergegeben oder in 2. Instanz neu vorgetragen sind und iÜ auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urt Bezug nehmen. Dies kann dazu führen, dass das Berufungsurteil aus sich selbst heraus nicht mehr verständlich ist, so dass im Einzelfall ein Absehen von den Abkürzungsmöglichkeiten des § 540 ratsam ist. Erforderlich ist in jedem Fall, dass aus dem Berufungsurteil ersichtlich ist, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien in der Berufung verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen (BGH MDR 17, 529 [BGH 10.01.2017 - II ZR 94/15]; MDR 13, 1360; WuM 09, 248; NJW 07, 2334 [BGH 29.03.2007 - I ZR 152/04]). Ein Berufungsurteil, das weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils noch eine eigene Darstellung des Sach- und Streitstands enthält, unterliegt im Revisionsverfahren grds der Aufhebung und Zurückverweisung (BGH NJW-RR 07, 524 [BGH 12.01.2007 - V ZR 268/05]; MDR 06, 1127; NJW-RR 04, 494).
Rn 15
Die Bezugnahme erfolgt auf die ›tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil‹ und damit nicht allein auf d...