Rn 3
Nach Eingang der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht hat dieses unverzüglich die Prozessakten des ersten Rechtszugs anzufordern, das erstinstanzliche Gericht hat die Pflicht, die Akten unverzüglich an das Berufungsgericht zu senden (§ 541 I). Die Verpflichtung zur Übersendung der vollständigen Akten besteht auch in den Fällen, in denen in 1. Instanz ein Prozessrest verblieben ist, über den noch nicht entschieden ist, etwa im Fall der Berufung gegen ein Teil-, Grund- oder Vorbehaltsurteil. Will das erstinstanzliche Gericht hierüber weiter verhandeln, so muss eine beglaubigte Abschrift der kompletten Akte (Zweit- oder Duploakte, § 3 VII AktO) angefertigt werden, damit der Rechtsstreit in beiden Instanzen parallel bearbeitet werden kann. Häufiger ist, dass der Prozess erstinstanzlich nicht weiter betrieben wird, bis über die Berufung entschieden ist.
Rn 4
Das Unverzüglichkeitserfordernis (§ 121 I 1 BGB) dient der Prozessbeschleunigung, ermöglicht Eilentscheidungen des Berufungsgerichts nach §§ 707, 719 II, 769 und ist deswegen eng auszulegen. Bis zur ZPO-Reform 2002 war eine Aktenanforderung ›innerhalb von 24 Stunden‹ erforderlich (§ 547 I aF), nach einhelliger Auffassung sollte mit der sprachlichen Neufassung inhaltlich hieran nichts geändert werden MüKoZPO/Rimmelspacher Rz 4). Nach wie vor ist es deswegen erforderlich, dass die Akten spätestens am nächsten Arbeitstag nach Eingang der Berufungsschrift angefordert werden. Zu einer noch rascheren Anforderung der Akten ist das Gericht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens auch dann nicht verpflichtet, wenn hierdurch eine Unzulässigkeit der Berufung (durch Hinweis an die Partei oder Weiterleitung an das zuständige Gericht) noch vermieden werden könnte (BGH NJW 08, 1890 [BGH 18.03.2008 - VIII ZB 4/06]).
Rn 5
Auf Seiten des erstinstanzlichen Gerichts ist durch das JuMoG (BGBl I 04, 2198) die korrespondierende Verpflichtung geschaffen worden, die Akten unverzüglich zu übersenden. Hierfür ist die gleiche Frist zugrunde zu legen. Nicht zu tolerieren ist deswegen die verbreitete Übung, mit der Übersendung der Akten zuzuwarten, bis noch anhängige Nebenverfahren (Streitwert- oder Kostenfestsetzung, Urteils- und Tatbestandsberichtigungen) abgeschlossen sind. Soweit erforderlich, sind hierfür Zweitakten zu fertigen. Eine Abwägung, wo die Akten ›dringender‹ benötigt werden, findet nicht statt.
Rn 6
Verantwortlich für die Anforderung und die Übersendung der Akten sind die jeweiligen Geschäftsstellen. Zu übersenden sind die vollständigen Akten 1. Instanz, dh alle angelegten Bände einschließlich eventueller Anlagen. In elektronischer Form geführte Akten (§§ 130a ff, 299a) werden als elektronische Kopie übersandt. Die vom erstinstanzlichen Gericht beigezogenen Akten anderer Behörden gehören nicht zu den Akten. Sind sie bereits getrennt und zurückgesandt, müssen sie bei Bedarf vom Berufungsgericht neu angefordert werden. Zwingend ist dies nicht, auf konkrete Einzelanforderung oder eine allgemeine Absprache hin können auch Beiakten dem Berufungsgericht überlassen werden.