Gesetzestext
(1) Die Beschwerde soll begründet werden.
(2) 1Die Beschwerde kann auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. 2Sie kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.
(3) 1Der Vorsitzende oder das Beschwerdegericht kann für das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln eine Frist setzen. 2Werden Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht innerhalb der Frist vorgebracht, so sind sie nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Verfahrens nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. 3Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.
(4) Ordnet das Gericht eine schriftliche Erklärung an, so kann diese zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden, wenn die Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden darf (§ 569 Abs. 3).
A. Bedeutung der Norm.
Rn 1
Die Vorschrift bestimmt, dass die sofortige Beschwerde begründet werden soll (Abs 1 S 1). Die Begründung kann zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden, wenn auch die Beschwerde selbst zu Protokoll eingelegt werden darf (Abs 4). Nach gesetzter Frist eingehende Angriffs- oder Verteidigungsmittel können ausgeschlossen werden (Abs 3). Mit dieser Maßgabe eröffnet die Beschwerde eine volle zweite Tatsacheninstanz; denn sie kann auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden (Abs 2 S 1). Daraus folgt zugleich, dass auch Antragserweiterungen in 2. Instanz uneingeschränkt zulässig sind (BGH NZI 07, 166, 167 [BGH 21.12.2006 - IX ZB 81/06] Rz 20).
B. Begründung (Abs 1 S 1).
Rn 2
Die Beschwerde soll begründet werden (Abs 1 S 1). Dieses Erfordernis ist durch das ZPO-Reformgesetz neu eingeführt worden. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll dadurch das Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden, ohne dass das Ausbleiben einer Begründung sofort durch eine Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig sanktioniert wird (BTDrs 14/4722, 68). Die Begründungsobliegenheit ermöglicht dem Gericht eine gezielte, problemorientierte und konzentrierte Nachprüfung der Beschwerde, ohne den Beschwerdeführer zu überfordern, und beschleunigt auf diese Weise das Verfahren. Dem Beschwerdeführer ist es zumutbar, in wenigen Sätzen zu sagen, welches Rechtsmittelziel er verfolgt und warum die angefochtene Entscheidung seiner Ansicht nach falsch ist und abgeändert werden sollte. Eine Begründung ist also erwünscht, wie sich auch aus der Formulierung ›soll begründet werden‹ ergibt; der Vorsitzende oder das Beschwerdegericht kann dazu eine Frist setzen (Abs 3). Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde hängt jedoch nicht davon ab, ob und wann eine Begründung eingereicht worden ist. Selbst wenn eine Begründung völlig fehlt, kann die sofortige Beschwerde also nicht als unzulässig verworfen werden. Ein bestimmter Antrag ist ebenfalls nicht erforderlich. Was der Beschwerdeführer verlangt, ergibt sich regelmäßig aus seinen früheren Anträgen in Verbindung mit ihrer Ablehnung (BTDrs 14/4722, 112 f).
C. Zweite Tatsacheninstanz (Abs 2 S 1).
Rn 3
Die Beschwerde kann auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden (Abs 2 S 1). Angriffs- oder Verteidigungsmittel ist jedes sachliche und prozessuale Vorbringen, das der Durchsetzung oder der Abwehr des geltend gemachten Anspruchs dient, zB Tatsachenbehauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden (vgl die Legaldefinition in § 282 I). Die Vorschrift soll deutlich machen, dass die Beschwerdeinstanz – anders als das Berufungsverfahren, vgl §§ 513 I, 529 I, 531 – auch nach der ZPO-Reform eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz geblieben ist (vgl auch BGH WM 07, 810 Rz 20; BGHZ 177, 218 Rz 14 = NJW 08, 3067; MDR 13, 1001 Rz 7). Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum ZPO-Reformgesetz rechtfertigt sich dieser Unterschied damit, dass den im Beschwerdeverfahren angefochtenen Entscheidungen idR kein dem erstinstanzlichen Urteilsverfahren vergleichbares förmliches Verfahren mit eingehender Tatsachenfeststellung und ausf begründeter Abschlussentscheidung zugrunde liegt. Das Beschwerdegericht müsse daher wie nach altem Recht die Möglichkeit haben, neue Tatsachen und Beweise uneingeschränkt zu berücksichtigen (BTDrs 14/4722, 113; vgl auch BGH NZI 08, 391 Rz 6). Das gilt auch für Tatsachen, die nach der erstinstanzlichen Entscheidung eingetreten sind. Neue Anträge sind uneingeschränkt zulässig, weil auch die den Antrag begründenden, möglicherweise neuen Tatsachen – vom Ausnahmefall einer versäumten Frist (vgl Abs 3) abgesehen – nicht zurückgewiesen werden können (BGH NZI 07, 166 [BGH 21.12.2006 - IX ZB 81/06] Rz 20). Voraussetzung ist allerdings, dass die sofortige Beschwerde unabhängig von diesen neuen Anträgen zulässig ist (BGH NJW-RR 11, 499 [BGH 16.11.2010 - VI ZB 79/09] Rz 3). Ein Gehörsverstoß (Art 103 I GG), welcher dem Ausgangsgericht unterlaufen ist, kann durch die Nachholung des rechtlichen Gehörs im Beschwerdeverfahren geheilt werden (BGH WM 09, 1662 Rz 11; WM 11, 663 ...