Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich
1. Fristbeginn und Fristende.
Rn 3
Die Frist beginnt mit Kenntnis der Partei vom Wiederaufnahmegrund, frühestens jedoch mit formeller Rechtskraft des Urteils. Wird also vor Rechtskrafteintritt Kenntnis erlangt, lässt dies die Frist nicht beginnen. Es kann aber dann dazu kommen, dass die Klage an § 582 oder § 579 II scheitert. Ein Fristbeginn erst mit Rechtskraft trotz früherer Kenntnis wird deshalb nur relevant werden, wenn ein Rechtsmittel oder eine Nichtzulassungsbeschwerde an sich statthaft und rechtzeitig eingelegt, aber als unzulässig verworfen wurde, so dass erst mit Zustellung dieses Verwerfungsbeschlusses Rechtskraft eintritt (vgl BGHZ 88, 353; 164, 347; NJW 87, 371).
Rn 4
Die Frist läuft – wie die Rechtsmittelfristen nach der ZPO – einen Monat und berechnet sich nach § 222 bzw §§ 187–193 BGB. Der Tag des Fristbeginns wird also nicht mitgerechnet, § 187 I BGB. Fällt das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, endet sie erst mit Ablauf des nächsten Werktages, § 222 II. Findet das Wiederaufnahmerecht der ZPO durch Verweis aus einer anderen Verfahrensordnung Anwendung (s § 585 Rn 3), die eine längere Rechtsmittelfrist als die ZPO vorsieht, wird die Monatsfrist durch diese Frist ersetzt (BGH MDR 63, 119, s aber für Abstammungssachen Rn 16).
Rn 5
Die Frist beginnt für jeden Wiederaufnahmegrund mit dessen Kenntnis neu. Bei Erkenntnis eines weiteren Wiederaufnahmegrundes oder dem Fund weiterer Urkunden, die denselben Wiederaufnahmegrund stützen (BGHZ 57, 211), kann dieser bzw können diese deshalb auch noch nachgeschoben werden.
Rn 6
Die Klageerhebung vor einem unzuständigen Gericht wahrt die Frist, sofern eine Verweisung an das zuständige Gericht erfolgt (BGHZ 35, 374; BAGE 102, 242).
2. Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund.
Rn 7
Entscheidend ist die positive sichere Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich der Wiederaufnahmegrund ergibt. Liegt sie vor, nützt fehlendes Verständnis der rechtlichen Einordnung der Tatsachen als Wiederaufnahmegrund nicht (BGH NJW 93, 1596 [BGH 30.03.1993 - X ZR 51/92]; 95, 332, 333 [BGH 22.11.1994 - X ZR 51/92]; BSG v 9.9.10 – B 11 AL 4/10 C Rz 7 – nv). Für § 580 Nr 7b bedeutet dies etwa, dass schon die Kenntnis vom Inhalt der Urkunde und nicht erst die Überzeugung von ihrer Erheblichkeit für ein Wiederaufnahmeverfahren die Frist beginnen lässt (BGH VersR 62, 175, 176; zuletzt LAG Köln v 22.1.20 – 11 Sa 688/18 Rz 16).
Rn 8
Fahrlässige Unkenntnis der Tatsachen schadet nicht. Allerdings darf sich die Partei nicht bewusst der Kenntnisnahme verschließen und eine durch konkrete Anhaltspunkte veranlasste weitere Erkundigung unterlassen (BAGE 102, 242 [BAG 20.08.2002 - 3 AZR 133/02]; zuletzt auch BVerwG v 21.11.13 – 9 B 60/13 – nv).
Rn 9
Geht es um eine Restitutionsklage nach § 580 Nrn 1 bis 5, ist nicht nur Kenntnis der strafbaren Handlung selbst, sondern auch der Verurteilung bzw der Gründe für deren Entbehrlichkeit (§ 581 I Hs 2) erforderlich (Schlesw OLGR 06, 220), da § 581 wesentlich zu diesen Restitutionsgründen gehört (s § 581 Rn 1) und ohne die Verurteilung die Restitutionsklage nicht zulässig erhoben werden kann.
Rn 9a
Handelt es sich um eine Restitutionsklage nach § 580 Nr 6, so besteht Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes mit Ablauf der Rechtsmittelfrist oder mit der Verkündung der letztinstanzlichen Entscheidung in Anwesenheit des Restituionsklägers (München v 30.7.20 – 29 U 706/19).
Rn 10
Kenntnis des Prozessbevollmächtigten wird nach §§ 51 II, 85 II zugerechnet (Ddorf v 14.4.11 – 2 U 102/10 – nv, Rz 16), wobei dies für den im früheren Verfahren Prozessbevollmächtigten nicht gilt, wenn sein Auftrag bereits beendet war (Zimmermann § 586 Rz 3 mwN). Wurde er aber etwa zur Vorbereitung eines Restitutionsverfahrens mit der Erstattung einer Strafanzeige beauftragt und kommt es zur Verfahrenseinstellung (s § 581 Rn 3), ist seine entsprechende Kenntnis eines Wiederaufnahmegrundes der Partei zuzurechnen (Zö/Greger § 586 Rz 4).
3. Glaubhaftmachung.
Rn 11
§ 589 II sieht vor, dass iRd Zulässigkeitsprüfung für die Tatsachen, aus denen sich die Fristeinhaltung ergibt, die Glaubhaftmachung (§ 294) notwendig, aber auch ausreichend ist. Damit ist nur ein geringerer Grad an richterlicher Überzeugung (einfache Wahrscheinlichkeit) vorausgesetzt. Es besteht keine Bindung an die Beweismittel des Strengbeweises, und es kommt va die eidesstattliche Versicherung in Betracht.
4. Bedeutungslosigkeit der Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund.
Rn 12
Wird Kenntnis erst nach Ablauf von fünf Jahren erlangt, kann sie die Klagefrist nicht mehr beginnen lassen; es kommt vielmehr die absolute Ausschlussfrist nach Abs 2 S 2 zum Tragen.