Rn 7
Der materielle Tatbestand von Abs 2 setzt zunächst einen nicht zu ersetzenden Vollstreckungsnachteil des Schuldners iSv § 707 I 2 voraus (s § 707 Rn 12). Nach der in § 719 II 1 getroffenen Wertentscheidung treten die Interessen des Schuldners grds zurück, da seine Rechte durch ein in zwei Tatsacheninstanzen geführtes Erkenntnisverfahren ausreichend gewahrt werden. Zwar kann die Zwangsvollstreckung im Einzelfall nach § 717 III einstweilig eingestellt werden, aber der Schuldner muss glaubhaft machen, dass der geltend gemachte Nachteil zu erheblichen, über das übliche Maß hinausgehenden Einbußen führen wird (BGH GRUR 18, 655 [BGH 29.03.2018 - I ZR 11/18]). Es gelten mithin strenge Anforderungen, sodass eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur in Ausnahmefällen nach § 719 II erfolgt. Keinesfalls reichen solche Nachteile aus, die mit der Vollstreckung regelmäßig verbunden sind (BGH NJW 00, 3008, 3009), etwa die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (KG 21.3.12, 8 U 202/11, Rz 2). Dass die Vollstreckung das Prozessergebnis vorwegnehmen würde, begründet keinen unersetzlichen Nachteil (BGH BeckRS 14, 17484). Da die Nachteile aus der Vollstreckung selbst resultieren müssen, nicht aber aus dem Titel, scheidet die in der Verurteilung des Schuldners begründete Selbstmordgefahr als Einstellungsgrund aus (BGH NJW-RR 02, 1090; krit Musielak/Voit/Lackmann § 719 Rz 5: zeitlich begrenzte Einstellung). Ein nicht zu ersetzender Vermögensnachteil ist ein unabwendbarer Schaden. Ein solcher liegt zB vor, wenn der Gläubiger bei Aufhebung oder Abänderung des Vollstreckungstitels aufgrund von Mittellosigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in der Lage sein wird, den vollstreckten Betrag zurückzuerstatten (BGH NJW-RR 07, 1138 [BGH 30.01.2007 - X ZR 147/06]).
Rn 8
Zusätzlich zum Merkmal des nicht zu ersetzenden Schadens dürfen der Einstellungsentscheidung keine überwiegenden Interessen des Gläubigers entgegenstehen. In der Revisionsinstanz ist das eine ›seltene Ausnahme‹ (MüKoZPO/Götz § 719 Rz 12). Die Dinge liegen hier anders als bei § 707, weil der nicht zu ersetzende Vollstreckungsschaden Tatbestandsmerkmal der Einstellung selbst ist und nicht erst bei den Einstellungsmodalitäten eine Rolle spielt. Deshalb ist die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach Abs 2 – anders als in der Berufungsinstanz (s Rn 4) – davon abhängig, dass der Schuldner entweder einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 gestellt hat (BGH WuM 12, 510; NJW-RR 11, 705; NJW-RR 08, 1038 [BGH 04.06.2008 - XII ZR 55/08]), soweit ein unersetzbarer Nachteil erkenn- und nachweisbar war (BGH NJW-RR 98, 1603 f [BGH 27.08.1998 - XII ZR 167/98]; NJW 92, 376 [BGH 08.08.1991 - I ZR 141/91]), oder es ihm aus besonderen Gründen nicht möglich oder unzumutbar war, diesen Antrag zu stellen (BGH GRUR 14, 1028 [BGH 08.07.2014 - X ZR 61/13] mAnm Arnold GRUR-Prax 14, 413; NJW-RR 13, 1093; NJW 12, 1292 [BGH 20.03.2012 - V ZR 275/11]; NJW-RR 11, 705 [BGH 24.11.2010 - XII ZR 31/10]; Walker JZ 11, 401, 404; s § 712 Rn 2). Die Einstellung ist zu versagen, wenn der Schutzantrag nach § 712 nicht in den Zeitgrenzen des § 714 gestellt bzw nicht oder nicht ausreichend begründet wurde, obwohl der Schuldner dazu imstande war (BGH NJW 01, 375; NJW-RR 04, 936; eine Ausnahme gilt bei neuen Gründen: BGH NJW 01, 375 [BGH 31.10.2000 - XII ZR 3/00]; NZM 06, 909). Ein Grund, die Einstellung zu verweigern, liegt auch vor, wenn es der Schuldner versäumt hat, einen Antrag auf Ergänzung einer nicht vollständigen Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach §§ 716, 321 zu stellen (BGH FamRZ 04, 1638; NJW 90, 2757; NJW-RR 00, 746; aA ThoPu/Seiler § 719 Rz 9 aE) oder er den Eintritt von Nachteilen aufgrund einer ihm gewährten Abwendungsbefugnis nach § 711 vermeiden kann (BGH NJW-RR 12, 1088 [BGH 25.04.2012 - I ZR 136/11]). Dagegen ist die Einstellung anzuordnen, wenn der Antrag in der Berufungsinstanz wegen Unzumutbarkeit nicht gestellt werden konnte (BGH MDR 80, 553), das Berufungsgericht fehlerhaft einen Fall des § 713 angenommen und deshalb keine Abwendungsbefugnis ausgesprochen hat (BGH MDR 07, 737; s § 712 Rn 2) oder der Schuldner davon ausgehen durfte, der Gläubiger werde nicht vollstrecken (BGH NJW-RR 07, 11). Schließlich setzt die Einstellung voraus, dass der Schuldner glaubhaft macht, zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage zu sein (BGH NJW 10, 1081 [BGH 08.12.2009 - VIII ZR 305/09] mit Anm Lackmann LMK 10, 298401; Walker JZ 11, 401, 401).